«Integration heisst Deutsch lernen»
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer facht die Integrationsdebatte in Deutschland weiter an – mit einem 7-Punkte-Plan, den er in einer Zeitschrift lanciert. Der CSU-Chef erntet bitterböse Kritik.

Nach seiner umstrittenen Äusserung, dass Deutschland «kein Zuwanderungsland» sei, hat CSU-Chef Horst Seehofer «exklusiv» für die deutsche Zeitschrift «Focus» ein Programm für den künftigen Umgang mit Migrantinnen und Migranten formuliert. Er schlägt dabei den Bogen von der «Ausschöpfung des heimischen Arbeitsmarkts» unter Punkt 1 über «Integrationsverweigerung konsequent sanktionieren» (Punkt 3) bis zur Forderung «Keine Abschottung in Parallelgesellschaften».
Statt Zuwanderer will Seehofer ältere Arbeitnehmer und Frauen mit Qualifikationsmassnahmen wieder in Arbeit bringen – und jene Migranten, die schon in Deutschland leben. Dazu will der CSU-Chef auch die Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen – mit dem Ziel, «Teilhabe und Chancen auch für alle Migranten» zu schaffen, die sich «gut integrieren».
Integrationsbereitschaft nachweisen?
Bei der Zuwanderung aus Ländern ausserhalb der Europäischen Union fordert Seehofer, dass die restriktiven Regeln des Zuwanderungsgesetzes nicht aufgeweicht werden. Und in Zukunft sollen neben der reinen beruflichen Qualifikation weitere Kriterien über die Erlaubnis des Zuzugs gelten – nämlich die «Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit». Wie sich dies feststellen lassen soll, erklärt der bayerische Politiker allerdings nicht.
Weiter fordert Seehofer, dass das Nachzugsalter für Kinder von 16 auf 12 Jahre herabgesetzt wird – mit der Begründung, dass die Kinder sich im jüngeren Alter besser integrieren könnten. Und dies wiederum würde ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, glaubt er.
Mehr Kurs-Angebote eingefordert
Um die Eingliederung zu verbessern, möchte der umstrittene CSU-Chef allerdings auch die Möglichkeiten bereitstellen. Jeder Integrationswillige solle einen Platz in Integrations- und Deutschkursen bekommen. Die Finanzierung dazu solle der Staat entsprechend aufstocken. Zudem sollen die betroffenen Menschen bei der Arbeitssuche, Qualifizierung und Weiterbildung «zielgenau» unterstützt werden.
Auf der anderen Seite drohen Sanktionen: Bei Integrationsverweigerung – ein Begriff, den Seehofer nicht näher erläutert – sollen Bussgelder und Leistungskürzungen konsequent angewendet werden. Zudem will Seehofer auch jene bestrafen, die durch ihr Verhalten verhindern, dass sich Familienangehörige integrieren.
Islam-Unterricht unter Kontrolle stellen
Neben der bekannten Forderung ausreichender Deutschkenntnisse vor einem Zuzug und bei Kindern noch vor der Einschulung fordert der CSU-Politiker, dass für muslimische Kinder ein Islam-Unterricht in deutscher Sprache angeboten wird – von Lehrern, die unter staatlicher Schulaufsicht in Deutschland ausgebildet wurden.
Einen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen will Seehofer künftig auch mithilfe von Datenaustausch verhindern. Behörden und Jobcenter sollen nach seiner Vorstellung Zugriff auf die entsprechenden Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bekommen.
Bauen für eine bessere Integration?
Schliesslich fordert der Ministerpräsident, dass die Bildung von sogenannten Parallelgesellschaften verhindert wird – also Wohngebiete wie in Köln-Mülheim, in denen fast ausschliesslich Zuwanderer aus einem Land oder Kulturkreis leben. Dies solle nicht nur mit Hilfe der Bildungspolitik, sondern auch durch konkrete Massnahmen in der Stadtentwicklung verhindert werden.
Dass solche Vorhaben äusserst kostspielig werden dürften, ist Seehofer offensichtlich klar: Die Städtebauförderung müsse, so fordert er weiter, «auf hohem Niveau erhalten bleiben», damit die Kommunen sicher planen können.
Harsche Kritik von allen Seiten
In deutschen Zeitungen und Sendern hat der angriffige Kurs von Seehofer bereits eine Reihe von Reaktionen ausgelöst – vorwiegend kritischer Art. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle stellte sich am Montag in Berlin offen gegen die Ideen des CSU-Chefs. Brüderle warf ihm «Stimmungsmache» vor. Deutschland müsse «alles an Potenzial aktivieren», sagte der FDP-Politiker. Dazu zähle auch eine qualifizierte Zuwanderung, «weil man nicht aus jedem Schulabbrecher einen IT-Spezialisten machen kann».
Die Grünen äusserten ebenfalls scharfe Kritik an Seehofer und an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon am Wochenende eine härtere Gangart bei der Integration gefordert hatte. Parteichefin Claudia Roth warf Seehofer Hetze vor. Seehofer verfahre nach dem alten konservativen Reflex: «Steht die CSU unter 40 Prozent, geht es gegen die Ausländer», sagte sie.
Kampf um die deutschen Stammtische
Auch die Regierungspartei FDP ärgert sich über Seehofers Versuche, die Debatte über Integration zu lenken. Generalsekretär Christian Lindner wertete die Haltung des CSU-Chefs als «Versuch, die Lufthoheit über den Stammtischen von Thilo Sarrazin zurückzugewinnen». Pauschalurteile und kulturelle Abschottung seien falsch, sagte Lindner.
Linke-Parteichef Klaus Ernst erklärte, Seehofer vergifte die politische Debatte und schrecke Menschen ab, sich in Deutschland zu engagieren: «Es ist eine Schande, dass solche Worte ausgerechnet vom Ministerpräsidenten eines Landes kommen, das so sehr vom Export lebt wie Bayern. Seehofer schadet Bayern, als Land und als Wirtschaftsstandort.»
«Wir sind ein Auswanderungsland»
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, widersprach Seehofer. «Es gibt massive Handlungsnotwendigkeiten», sagte er, «im Augenblick kommen 700'000 Menschen pro Jahr herein, aber mehr als 700'000 Menschen verlassen uns auch wieder. Wir sind ein Auswanderungsland.» Das sei eine gefährliche Entwicklung.
Türkei-Reise: Appell an Wulff
Im Fokus der Debatte steht erneut auch Bundespräsident Christian Wulff, der am Montag zum viertägigen Staatsbesuch in die Türkei reist. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Wulff auf, er solle konstruktiv über Integration reden und deutlich machen, dass die Integrationsdebatte in Deutschland nicht «von den Rechtspopulisten Seehofer und Sarrazin dominiert», sondern von einem parteiübergreifenden Interesse an einer rationalen Debatte bestimmt werde.
SDA/raa
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