Internet-Pranger am Pranger
Jan Böhmermanns Bewegung gegen Hass im Netz hat mehr Mitglieder als die AfD. Kritiker werfen dem TV-Satiriker totalitäres Denken vor.

Jan Böhmermann verbreitete am 3. Mai folgende Nachricht auf Twitter: «Wir haben aus Versehen eine unabhängige, überparteiliche Bürgerrechtsbewegung im Internet gegründet, die nach sieben Tagen doppelt so viele Mitglieder hat wie die AfD.» Bereits gegen 60'000 Menschen hatten sich also eine Woche nach Lancierung der Aktion «Reconquista Internet» angeschlossen. Böhmermanns «Aktion zur Rückeroberung des Internets» will dem Hass im Netz «Liebe und Vernunft» entgegensetzen.
Das Vorbild von «Reconquista Internet» ist jenes Netzwerk von rechtsradikalen Internettrollen, das Böhmermann bekämpfen möchte. «Reconquista Germanica», wie das Netzwerk heisst, will möglichst effektiv möglichst viel Hass verbreiten: gegen Politiker, gegen Medien, gegen Personen des öffentlichen Lebens. Zur Lancierung seiner Gegenkampagne war Böhmermann in seiner TV-Sendung «Neo Magazin Royale» in Stahlhelm und Sturmhaube aufgetreten – um Duktus und Taktik von «Reconquista Germanica» zu persiflieren, um diese sogleich ins Gegenteil zu kehren. Beide «Reconquista»-Aktionen organisieren sich auf dem Chatserver Discord-Channel.
Liebe statt Hass, Herz statt Nazi-Rune: Jan Böhmermann in seiner Sendung «Neo Magazin Royale». Video: Youtube/ZDFneo
«Reconquista Internet» veröffentlichte letzte Woche zwei Listen mit Twitter-Accounts. Eine Liste enthält knapp 200 Profile, die sich an mindestens zwei Aktionen von «Reconquista Germanica» beteiligt haben sollen. Die andere Liste beinhaltet rund 1270 «untereinander vernetzte Profile rechter Trolle». Auf der umstrittenen Liste figurieren zum Beispiel auch Politiker der AfD, AfD-nahe Medien, die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry oder auch der in Deutschland bekannte Publizist Roland Tichy.
«Die Aussagen, die sie verbreiten, mögen teils legitime rechtskonservative Positionen sein, teils irreführende, fremdenfeindliche oder verschwörungstheoretische Behauptungen», schreibt der renommierte Medienkritiker Stefan Niggemeier auf der Website «Übermedien». Diese Leute seien sicher irgendwie «rechts», aber viele von ihnen zeigten kein Verhalten, das man als «trollen» bezeichnen würde. «Als Troll werden üblicherweise Akteure bezeichnet, die nicht an einer ernsthaften Auseinandersetzung interessiert sind», betont Niggemeier.
Kritik an der «Reconquista»-Aktion äusserte auch «Zeit»-Kolumnist Jochen Bittner. Er stellt verwundert fest, dass ein liberaler Geist wie Böhmermann konservative und/oder regierungskritische Twitter-User in einen Topf mit Neonazis werfe. Böhmermann führe mit seiner Aktion vor, wie einfach und schnell totalitäre Trends cool werden könnten. «Definiere böses Denken weit und gutes Denken eng und behaupte, es gebe viel, viel mehr Feinde einer besseren Menschheit, als man so glaube.» So werde der Diskurs abgewürgt.
ZDF distanziert sich, Böhmermann schweigt
Was Böhmermann zu dieser Kritik meint, ist nicht bekannt. Bislang weigerte er sich, Fragen von «Zeit»-Kolumnist Bittner zu beantworten. Auch «Übermedien»-Kritiker Niggemeier erhielt auf Anfrage keine Erklärungen des TV-Satirikers. Böhmermann verweigere sich jeder Diskussion, schreibt das deutsche Medienportal Meedia.
Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) markierte inzwischen Distanz zur Böhmermann-Aktion: «Das ZDF und ZDF neo haben zu keiner Zeit in den sozialen Netzwerken Listen mit Twitter-Accounts öffentlich gemacht und auch nie zur Denunziation aufgerufen.» Und nach diesem Tweet betonte ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler: «Das ist nicht in der redaktionellen Verantwortung des ZDF geschehen.»
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