Island - Irland 1:0
Die beiden nordeuropäischen Inseln haben unterschiedliche Wege aus der Krise gewählt. Das Resultat spricht klar für die Isländer.

Was unterscheidet Irland von Island? Ein Buchstabe und ein paar Monate. So lautete ein beliebter Witz auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Island war damals das Symbol des Finanzwahnsinns der Banken geworden. Der Kleinstaat im Norden (rund 320'000 Einwohner) hatte sich in eine Art kollektiven Hedgefonds verwandelt. «Im Jahr 2007 besassen die Isländer rund 50-mal mehr ausländische Vermögenswerte, als sie im Jahr 2002 hatten», schreibt der Finanzjournalist Michael Lewis in seinem Buch «Boomerang». Dabei hatten die Isländer keine Ahnung vom Bankgeschäft, insbesondere vom Investmentbanking. Männer, die kurz zuvor noch als Fischer auf hoher See unterwegs waren, drehten nun das grosse Rad an den Finanzmärkten. Sie handelten nach der Devise, die Lewis wie folgt zusammenfasst: «Du hast einen Hund, ich habe eine Katze. Wir einigen uns darauf, dass beide je eine Milliarde Dollar wert sind. Du verkaufst mir deinen Hund und ich dir meine Katze: Jetzt sind wir beide Banker mit einer Milliarde Spielgeld.» Nach Ausbruch der Eurokrise war Island das erste Opfer, das Land war pleite.
Verhängnisvolles Versprechen
Auch Irland hatte einen spektakulären Aufstieg hinter sich. Bis in die 1980er-Jahre war die grüne Insel das letzte Drittweltland in Westeuropa. Vor Ausbruch der Krise hatten die Iren das höchste Pro-Kopf-Einkommen in der EU. Scharen von Journalisten und Wirtschaftsexperten pilgerten nach Dublin, um dem Geheimnis des «keltischen Tigers» auf die Spur zu kommen. Doch auch die Iren kamen mit ihrem Boom nicht zurecht. Sie begannen, Häuser zu bauen, als gäbe es kein Morgen, meist mit von deutschen Banken geliehenem Geld. Bald nahm die Immobilienblase groteske Züge an: Die Preise für Häuser verfünffachten sich. Irland baute pro Jahr halb so viele Häuser wie Grossbritannien, das 15-mal mehr Einwohner hat.
Nach dem Platzen der Blase waren die wichtigsten Finanzinstitute pleite. Um einen Run auf die Banken zu verhindern – und wahrscheinlich auf mehr oder weniger sanften Druck aus Berlin –, gab die irische Regierung ein verhängnisvolles Versprechen ab: Der Staat werde für alle Verpflichtungen der Banken aufkommen. Das Resultat war verheerend. Die Staatsschulden, zuvor unter 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts, schnellten auf über 100 Prozent. Das Land hängt seither am Tropf des europäischen Hilfsfonds ESM. Jeder irische Steuerzahler muss heute mit einer fünfstelligen Eurosumme dafür geradestehen.
Die Iren werden noch lange leiden
Der Weg in die Krise weist einige Gemeinsamkeiten auf, der Weg aus der Krise ist völlig verschieden. Die Isländer schickten die neoliberale Regierung in die Wüste und die Männer zurück auf die Fischerboote. Die Banken liessen sie unter Protestgeheul – vor allem aus Grossbritannien und Holland – pleitegehen. Wenig später lehnten es die Stimmbürger in einer Volksabstimmung ab, für die Auslandsschulden der Banken aufzukommen. Das macht Island bis heute zu einem Paria auf den Finanzmärkten. Doch in der realen Wirtschaft sieht es sehr viel besser aus. Nach dem Kollaps von 2008 brach das BIP um zehn Prozent ein, die Arbeitslosigkeit stieg auf über neun Prozent. Inzwischen ist sie wieder unter sechs Prozent gesunken, tiefer als in Deutschland. Das BIP wächst wieder, vor allem dank dem Fischfang.
Die Iren hingegen beugten sich dem Diktat der Finanzmärkte und der deutschen Austeritätspolitik. Das hat ihnen sehr viel Lob und Anerkennung von Bankern und konservativen Politikern eingebracht. So stellte etwa der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, die Iren als Musterknaben der Defizitländer dar. Das war im März 2010, und die irische Arbeitslosigkeit lag damals bei 13,3 Prozent. «Seither wird auch der kleinste Tick nach oben der irischen Wirtschaft als Zeichen gefeiert, dass sich die Nation erholt – aber im letzten Monat lag die Arbeitslosenquote bei 14,6 Prozent, nur leicht unter dem Höhepunkt, der letztes Jahr erreicht wurde», stellt Paul Krugman in der «New York Times» lakonisch fest. Selbst wer in Irland noch einen Job hat, wird noch lange leiden. Die Preise für die Immobilien sind massiv eingebrochen, vielen Hausbesitzern steht das Wasser bis zum Hals, will heissen: Ihre Hypothekarschuld ist höher als der Wert ihrer Häuser. Wenn sie nicht aus ihren Häusern vertrieben werden, müssen sie sie abstottern, viele ein Leben lang. Kein Wunder, wandern junge Iren wieder scharenweise aus.
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