«Ist das die grösste Schweizer Chance in der Geschichte?»
Der Schweizer Eishockey-Nationaltrainer Patrick Fischer spricht im Interview über Olympia, den Korea-Konflikt – und einen legendären Sieg.

An welchem Datum haben Sie im Februar den Rückflug aus Südkorea von den Olympischen Spielen gebucht?
Ich bin nicht so stark mit Daten, aber ich hoffe, wir fliegen erst nach einem erfolgreichen Abschluss zurück. Erst, wenn alle Spiele vorbei sind.
Das heisst, Sie rechnen damit, ab den Halbfinals noch dabei zu sein?
Wir müssen die Gruppenphase überstehen, das ist das erste Zwischenziel. Das ist eine schwierige Aufgabe. Aber wir haben Vertrauen in uns und wollen die Viertelfinals erreichen. Dann ist es logisch, dass das Ziel eine Medaille ist. Aber wir dürfen den Fokus nicht verlieren.
Wie realistisch ist eine Medaille?
Man darf träumen. Ich träume gerne und habe grosse Träume. Und da reden wir von einer Medaille. Ich bin mir aber auch bewusst, dass sehr viel zusammenpassen muss.
Was denn?
Wenn wir unsere Träume in die Realität umsetzen wollen, müssen wir die Grossen regelmässig schlagen. Wir müssen Konstanz reinbringen, diese Gewinnermentalität. Wir dürfen nicht zufrieden sein, wenn wir sie schlagen. Wir werden sie schlagen, aber wir müssen das immer und immer wieder tun.
Die NHL-Spieler fehlen erstmals seit 1994 bei Olympia. Ist das die grösste Schweizer Chance in der Geschichte?
Schwierig zu sagen. Ich bedaure es immer noch, dass viele der absoluten Top-shots nicht mitspielen dürfen, aber es ist nun einmal so. Für uns ist es ein Vorteil. Die Teams, gegen die wir um Medaillen kämpfen, haben grössere Verluste als wir, sie haben mehr Spieler, die sie nicht einsetzen können. Aber auch sie haben immer noch sehr gute Teams.
Sie nennen die Schweiz in einem Atemzug mit den Grossen. Ist sie so weit?
Wir haben in meiner Zeit ein paar Mal gegen die Tschechen gespielt, und die kamen immer mit dem besten Team. Und wir waren gleich gut oder besser. Die Finnen hatten in den letzten beiden Jahren auf allen Stufen einen Riesenlauf, aber sie spielen uns nicht an die Wand. Diese Zeiten sind vorbei, und das muss man einmal sehen. Auch wenn wir am Schluss knapp verloren haben an der WM, hatten wir sie über weite Phasen im Griff. Und wir müssen verinnerlichen, dass nicht alle Sterne für uns ideal liegen müssen, damit wir die Topteams besiegen können. Wir brauchen eine gute Leistung, aber vor allem das Vertrauen. Dann sind wir gegen jede Mannschaft bereit zu gewinnen. Ausser vielleicht gegen die Kanadier oder Amerikaner mit einem absoluten Topaufgebot.
Was bedeuten Ihnen persönlich die Olympischen Spiele generell?
Es gibt die Spiele seit 1896, und es ist speziell, dass sie nur alle vier Jahre sind, dass alle Athleten im Dorf sind. Es gibt einen wunderschönen Sportler-Groove. Das ist der grosse Unterschied zu einer WM, die jedes Jahr stattfindet. Wir sind eine Schweizer Familie, unsere Hockeyladys sind auch da, die Skifahrer, die Curler, der Nationenstolz kommt auf. Ich durfte das zweimal als Spieler erleben, und es war grossartig.
2006 teilten Sie mit Paul Di Pietro das Zimmer. Gabs nach dem 2:0 gegen Kanada, als er beide Tore erzielte, ein Bier?
Päuli hat nicht so gerne Bier. Ich glaube nicht, dass er in jener Nacht eine Sekunde geschlafen hat; er war nur mit dem Beantworten von Mitteilungen beschäftigt. Das Schöne war, dass wir direkt nachher noch die Tschechen schlugen. Die Spiele waren wie ein Befreiungsschlag nach schwierigen Jahren, auch wenn wir im Viertelfinal gegen Schweden keinen Puck sahen.
Für Sie war Turin dann auch noch ein unerwartetes Sprungbrett nach Nordamerika: Sie landeten in der NHL bei den Phoenix Coyotes.
Ja, ich hatte 2005 eine gute WM in Wien. Dann das Ziel NHL, und ich spielte in Zug meine beste Saison in der Schweiz überhaupt. Ich hoffte, in Turin würde etwas passieren, kam aber nicht richtig auf Touren. Wayne Gretzky war damals GM bei den Kanadiern, und offenbar hat er etwas an mir gesehen. Ich weiss allerdings nicht, was.
Sie haben keine Ahnung?
(lacht)Eine Vermutung habe ich: Gretzky hat uns beim Einlaufen vor dem Spiel gegen Kanada zugesehen – bei mir ging jeder Schuss rein. Letztlich spielt es keine Rolle. Turin war wegweisend für mich.
War Ihr Job in den letzten Monaten durch die Konstellation, dass keine NHL-Spieler dabei sein werden, einfacher als sonst? Sie mussten zum Beispiel keine Flugmeilen sammeln, um diese Spieler zu beobachten.
Es war klar einfacher – wir wussten schon früh, mit wem wir planen können. Wir können auch schon beginnen, an Linienzusammenstellungen zu denken.
Zu wie viel Prozent steht Ihr Olympiateam im Kopf schon?
Wir sind schon ganz klar weiter als nach der WM 2016 in Moskau. Dieses Jahr in Paris hat vieles gut zusammengepasst. Wir haben schon ziemlich klare Vorstellungen, aber wir lassen uns auch immer wieder gerne überraschen durch Überflieger. Eine Prozentzahl zu nennen, ist schwierig. 100 noch nicht, aber wir sind dem Aufgebot schon ziemlich nahe.
Wie gehen Sie bezüglich Südkorea mit dem politischen Säbelrasseln zwischen Kim Jong-un und Donald Trump um?
Ich finde es sehr traurig, was abläuft. Ich hoffe, die beiden behalten einen klaren Kopf und dass sie gute Entscheide für die ganze Welt treffen und es ruhig bleibt. Was mich beruhigt: Unsere Nationalteamvertreter, die in Südkorea auf Rekognoszierungsreise waren, sagten, der Konflikt sei kaum Thema dort, man sei sich gewohnt, dass Kim «täubele». Und ich habe das Gefühl, zumindest von hier aus der Ferne, dass in letzter Zeit alles etwas ruhiger geworden ist.
Was haben Sie von der letzten WM mitnehmen können?
Ein paar Spieler haben mich enorm überrascht, wie schnell sie sich entwickelt haben und sich durchsetzten, vor allem Jüngere wie Haas, Praplan, Herzog oder Suter. Das macht die Basis breiter, gibt anderen Jungen die Motivation, dass es schnell gehen kann, und macht Druck auf Arrivierte. Der Kern ist grösser geworden an Spielern, die man fast nicht wegdenken kann. Das ist wichtig. Dazu verstehen die Spieler auch das System besser. Es braucht Mut, dieses Scheibenbesitzspiel durchzuziehen, aber sie machen es gerne und gut. Wir werden es verfeinern.
Wo sehen Sie das grösste Steigerungspotenzial?
In den Special Teams müssen wir dieses Jahr einen grossen Schritt machen. Bei fünf gegen fünf haben wir ein gutes Fundament, aber der Wert in Unterzahl muss 85 Prozent erreichen – derjenige im Powerplay 25 bis 30 Prozent. Wenn uns das gelingt, sind wir richtig gefährlich.
Sprechen wir über den Karjala-Cup nächste Woche mit Spielen in Biel und Helsinki. Die Spieler von Bern und den ZSC Lions stossen wegen der Champions Hockey League erst für die Spiele in Finnland dazu. Das ist nicht ideal.
Nein, das ist es nicht. Aber die Champions Hockey League ist eine gute Sache, die unser Hockey weiterbringt. Und so können wir so viele Spieler testen wie nie sonst. Einige haben einen Match, einige zwei. Wir müssen bereit sein, von Anfang an. Die Botschaft an die Spieler ist klar: Zeigt euch!
Wie sieht danach der Fahrplan bis Olympia aus?
Wie die Teilnahme am Karjala-Cup ist auch jene am Spengler-Cup sensationell. Für einen Nati-Spieler ist es ein Geschenk, dass er da mitmachen darf. Sportlich ist es die Hauptprobe, daneben soll es ein guter Team-Event sein. Die Spielerfrauen werden dabei sein, Freunde, Familie, damit die ganze Nationalmannschaftsfamilie wächst, sich besser kennen lernt. Dann wird einiges klar sein punkto Selektion. Ich fliege am 1. Januar nach Buffalo an die U-20-WM, nachher mache ich noch ein, zwei Tage Pause, und dann geht es Richtung Südkorea.
Ihr Vertrag läuft nach der WM 2018 im Mai in Dänemark aus. Wann wird es Gespräche mit dem Verband über eine mögliche Verlängerung geben?
Wahrscheinlich nach Olympia. Ich war nie einer, der taktische Spiele spielte. Ich liebe den Job, würde den Prozess gerne weiterführen, dass wir das mutige Hockey auf diesem Niveau lernen, und ich hoffe, dass ich weitermachen darf. Aber es ist klar: Die Resultate zählen, und es liegt an mir, dem Staff und dem Team, dass wir erfolgreiche Olympische Spiele machen. Dann haben wir gute Karten.
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