Ist das Ende von Facebook gekommen?
Das Horrorjahr des Unternehmens könnte der Beginn des Niedergangs sein: Die Negativspirale beginnt sich langsam zu drehen.

Dieses Jahr ist für Facebook der blanke Horror. Das Unternehmen hinter der weltgrössten Social-Media-Plattform ertrinkt seit März in schlechten Nachrichten – die Misere ist weitgehend selbst verschuldet. Sie reicht von den Enthüllungen um Cambridge Analytica über das Gebaren von Chief Operating Officer Sheryl Sandberg bis hin zu den neuesten Vorwürfen bezüglich Facebooks Geschäftspraktiken. Und so stellt sich unweigerlich die Frage: Ist jetzt endlich der Zeitpunkt gekommen, um Facebook zu löschen? Die kurze Antwort kann man auf dreierlei Arten formulieren: Es ist kompliziert – Ja, aber … – Das Problem wird sich von selbst erledigen.
Die differenzierte Antwort lautet: Es ist kompliziert, weil ein Löschen des eigenen Facebook-Kontos noch nicht heisst, dass Sie nicht weiter Geld in die Kassen von Facebook spülen. Was oft vergessen geht: Sowohl Instagram als auch Whatsapp gehören ebenfalls zum Konzern. Über Werbung auf Instagram sowie im Whatsapp-Status verdient Mark Zuckerbergs Unternehmen weiterhin an Ihnen, sollten Sie einen dieser Dienste nutzen.
Für Whatsapp gibt es Alternativen
Wer Facebook also konsequent den Rücken kehren will, findet hier eine Auswahl an Alternativen zu Whatsapp. Etwas schwieriger wird es bei Instagram. Keine der Alternativen hat das gleiche Flair wie die beliebteste aller Fotosharing-Plattformen. Während man auf Instagram neben Hochglanzfotografien auch einfache Schnappschüsse teilt, sind Communitys wie 500px oder Smugmug eher etwas für ambitionierte Hobbyfotografen. Der Foto-Dinosaurier Flickr ist leider immer noch unsexy und eignet sich am besten als persönliche Online-Fotodatenbank. Und die im Frühjahr noch stark gehypte Social-Media-App Vero ist klinisch tot – der letzte Post eines Kollegen dort stammt aus dem April.
Zu Facebook Inc. gehört übrigens auch noch Oculus VR, die Firma hinter der Virtual-Reality-Brille Oculus Rift – diesen Geschäftszweig kann man aber wohl aufgrund der noch relativ geringen Verbreitung von Anwendungen mit virtueller Realität momentan vernachlässigen.
Kein Facebook-Killer in Sicht
Ein weiteres Problem ist – und hier kommen wir zum «Ja, aber ...»-Teil der Kurzantwort –, dass bislang noch kein Facebook-Killer in Sicht ist, also keine Plattform, die das Potenzial hat, Facebook den Rang abzulaufen. Dass es möglich ist, hat Facebook selbst gezeigt: Vor 2007 hat die breite Masse im Netz Myspace als digitalen Versammlungsort genutzt. Dann kam Facebook und überholte Myspace lässig. Es existiert zwar noch, fristet aber ein Schattendasein.
Seit Facebooks Aufstieg zur Social-Media-Supermacht sind einige angetreten, um Zuckerbergs College-Erfindung die Stirn zu bieten. Alle sind gescheitert: Google mit Google Plus und Orkut, weiterhin Diaspora, Tsu oder Ello. Ihr Problem: Facebook ist der Platzhirsch. Wozu sollten Nutzer sich mehrere Netzwerke einrichten, wenn alle Freundinnen und Kollegen doch schon bei Facebook sind? (Ähnlich sieht es übrigens bei den Kurznachrichtendiensten aus, wo Whatsapp klar der Marktführer ist.) Solange nicht klar ist, wohin man nach Facebook gehen kann, wird es keinen massenhaften Exodus dort geben.
Aber vielleicht wird sich das Problem ja von selbst erledigen. Dann nämlich, wenn sich immer mehr Menschen von Facebook verabschieden. Nicht, weil sie moralische oder Sicherheitsbedenken haben, sondern schlicht, weil es ihnen langweilig wird. Dazu eine Anekdote aus dem persönlichen Umfeld des Autors: Dort gibt es eine Reihe von Kollegen, allesamt in der Tech-Branche tätig und seit langem auf diversen Social-Media-Plattformen aktiv. Viele von ihnen haben ihre Konten stillgelegt, deaktiviert oder gelöscht, nicht nur auf Facebook, sondern auch auf Instagram oder Twitter. Andere nutzen sie schlicht nicht mehr.
Die Negativspirale beginnt zu drehen
Zahlen belegen diesen Trend: In der Schweiz stagniert die Zahl der aktiven Nutzer seit 2016, das Durchschnittsalter steigt. Das heisst, die Jugend orientiert sich anderweitig. So könnte der gegenteilige Effekt von dem eintreten, den man ganz zu Beginn von Facebook beobachten konnte. Damals, 2007, war es auf der Plattform mitunter recht einsam, als noch wenig Freunde und Bekannte ebenfalls dort verkehrten. Erst mit der Zeit stellte sich ein Pull-Effekt ein: Je mehr Menschen Facebook nutzten, desto aktiver wurde man selbst.
Jetzt beginnt eine Negativspirale zu drehen: Je weniger Leute aktiv sind, desto weniger postet man selbst. Auch das lässt sich am Autor belegen: 200 eigene Posts im Jahr 2017 stehen gerade noch 90 in diesem Jahr gegenüber – Tendenz deutlich sinkend: Nur 23 der 90 Post entfallen aufs zweite Halbjahr. Eine Folge dessen, dass die eigenen Freunde tatsächlich weniger posten und Facebook mir eine unausgewogene Mischung aus Werbung, Gruppen-Posts und Veranstaltungshinweisen vorsetzt.
«2019 wird das Jahr des Gruppen-Chats»
Deutlich mehr Aktivität verzeichnet dagegen mein Whatsapp – dort wird vermehrt nicht nur zu zweit, sondern auch in Gruppen geschrieben. Andere Experten sehen diesen Trend zum Rückzug ins Semi-Private auch. Casey Newton, Redaktor beim Tech-Magazin «The Verge», sagte unlängst im Podcast «Today, Explained»: «2019 wird das Jahr des Gruppen-Chats.» Der Niedergang Facebooks hat vielleicht also schon begonnen. Neben Langeweile spielt sicher die Unsicherheit eine Rolle, ob man dem Unternehmen noch trauen kann. Nun wird das Netzwerk nicht über Nacht untergehen, Newton erwartet einen Prozess, der mehrere Jahre, vielleicht sogar über ein Jahrzehnt dauert.
Ob Sie Facebook löschen oder nicht, ist natürlich Ihnen selbst überlassen. Wenn Sie moralische Bedenken haben wegen der Geschäftspraktiken des Unternehmens, lautet die Antwort wohl ja. Ebenso, wenn Sie sich um Ihre Privatsphäre und den Datenschutz sorgen. Wenn Sie zögern, weil Sie sich nicht von Whatsapp lösen wollen oder weil es einfach so praktisch ist, Freunde und Familie an einem Ort versammelt zu haben – kein Problem, bleiben Sie dabei.
Vergessen sollten Sie aber eines nicht: Facebook geht es nicht in erster Linie darum, Menschen aus altruistischen Gründen zusammenzubringen, oder um «time well spent» oder «meaningful interactions», wie sie es immer betonen. Facebook ist in erster Linie ein Unternehmen, das Gewinn machen soll. Dabei sind Sie selten der Kunde und oft das Mittel.
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