EU gibt Milliarden freiItaliener hoffen auf einen neuen Film mit schönem Happy End
Brüssel stellt Rom Bestnoten aus für den Wiederaufbauplan. Nun fliessen die ersten 25 Milliarden Euro, am Ende werden es fast 200 Milliarden sein.

Das Setting ist manchmal die halbe Geschichte. Als Bühne für den Startschuss des italienischen Wiederaufbaus hat man sich für Cinecittà entschieden, die römischen Filmstudios aus fernen, einst glamourösen Zeiten – und das trug in sich natürlich eine ganz eigene metaphorische Symbolik. Die Italiener hoffen dank der vielen Milliarden aus Brüssel, die sich bald aus dem grossen Topf des Aufbaufonds Next Generation EU in Tranchen über dem Land ergiessen werden, gewissermassen auf einen neuen Film, ohne Fiktion und mit schönem Happy End.
Mehr Geld als für alle anderen – aber auch mehr Reformforderungen
Kein Land Europas erhält mehr Geld für den Wiederaufbau nach der Pandemie – nämlich fast 200 Milliarden Euro an Zuschüssen und zinsgünstigen Darlehen – als das früh und besonders hart getroffene Italien. Von keinem Land erwartet die Europäische Union dafür aber auch mehr Reformen – alle überfällig, seit Jahrzehnten: Justiz, Steuern, Wettbewerb, Bürokratie. Und so galt die römische Etappe Ursula von der Leyens auf ihrer Reise durch Europas Hauptstädte als die wichtigste. Auch für Italien gab es von der EU-Kommission Bestnoten für den Plan: zehn A und ein B für die veranschlagten Kosten – doch jedes Land hat dort im Zeugnis ein B.

Bereits im Juli soll Italien nun einen Vorschuss von 25 Milliarden Euro erhalten, damit es gleich loslegen kann. Eine Milliarde will Rom aufwenden für die Eingliederung von Jungen in die Arbeitswelt, eine weitere Milliarde für Anreize für arbeitswillige Frauen, noch eine Milliarde für Kitas und Ganztagsschulen. Der Rest fliesst in die sechs grossen «Missions» und 419 «Milestones» und «Targets» im Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza, wie der Fonds auf Italienisch heisst. 22 Prozent der Gesamtmittel gibt es für Digitalisierung, Tourismus und Kultur, 31 Prozent für den ökologischen Wandel, 14 Prozent für Infrastrukturen, 14,5 Prozent für Bildung und Forschung, 10 Prozent für soziale Inklusion und Zusammenhalt, etwa 8,5 Prozent für eine Festigung des Gesundheitswesens.
«Das ist die grösste Chance für unser Land seit zwei Jahrzehnten.»
300 Millionen Euro sind übrigens für eine Modernisierung von Cinecittà budgetiert, damit man im internationalen Wettbewerb wieder mithalten kann. Auch deshalb wählte man sie als Bühne. Die Zeitung «La Stampa» nennt den gesamten Wiederaufbauplan die «grösste Chance für unser Land seit zwei Jahrzehnten». Zutreffender wäre wahrscheinlich: seit sieben Jahrzehnten.
Was wäre, wenn Premier Draghi bald Präsident werden würde?
Im vergangenen Februar hätte noch niemand darauf gewettet, dass die Italiener rechtzeitig fertig werden würden mit der Ausformulierung ihres Recovery Plan. Dann wurde Mario Draghi Premier, und allein seine Berufung galt in Brüssel als Garantie für Effizienz. Draghi gilt als obsessiv pünktlich: Das Papier der Vorgängerregierung lag dann trotz Generalüberholung zum 30. April bereit und besänftigte fürs Erste die vielen Skeptiker aus dem Norden, die beständig vor möglicher Misswirtschaft und Korruption warnen.
Die Frage ist nur, was wäre, wenn Draghi zum Anfang des kommenden Jahres neuer italienischer Staatspräsident werden sollte, wie sich das viele wünschen, Nachfolger also von Sergio Mattarella. Als Premier hat Draghi die Geschicke des postpandemischen Wiederaufbaus in der Hand, als Präsident fiele er als operativer Bauleiter aus.
Oliver Meiler ist Italienkorrespondent. Er hat in Genf Politikwissenschaften studiert. Autor des Buches «Agromafia» (dtv, 2021).
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