James Joyces Gedichte an Laptop und Gitarre
Auf dem Doppelalbum «Chamber Music» vertonen Musiker aus Rock, Folk und Electronica frühe Gedichte des irischen Schriftstellers James Joyce.
Texte von James Joyce zu den barschen Klängen von Gitarren, Banjos und Laptops? Das innere Auge glaubt schon zu sehen, wie sich literarische Gralshüter die Haare raufen. Zu ihrer Beruhigung: Die Populärmusik greift schon seit den 60er-Jahren auf das uvre des irischen Schriftstellers zu. Und: Auf dem Tributalbum «Chamber Music», das eben erschienen ist, bleiben die zentralen Werke von James Joyce unangetastet.
Genuschelt, gemurmelt, gegurgelt
Als Ausgangspunkt für die Songs und Stimmungsbilder auf «Chamber Music» dienen nicht etwa «Ulysses» oder «Finnegan's Wake». Sondern die 36 Gedichte aus dem gleichnamigen Lyrikband, den Joyce 1907 mit wenig Erfolg veröffentlichte. Wer von Interpreten wie Mercury Rev, Ed Harcourt oder von Musikern aus den Reihen von R.E.M. und Sonic Youth eine schulbanktaugliche Einführung in Joyces Poesie erwartet, wird enttäuscht. Direkt zugänglich sind die Texte beim Folkpop der Green Pajamas oder in der Spoken-Word-Einlage von Kinski. Sonst werden die Verse oft bis zur Unkenntlichkeit genuschelt, gemurmelt oder gegurgelt. Man muss schon genau hinhören, um etwas zu verstehen.
Verse ohne Refrains
Daran ist auch nichts auszusetzen: Dass die Botschaft im Mittelpunkt eines Musikstücks steht, ist ein mitteleuropäisches Dekret; im anglophonen Sprachraum sind der Strom und Puls eines Wortstrangs mindestens so wichtig wie sein Sinn. Der Sprachverfremder Joyce wäre also sicher einverstanden gewesen.
Die Zeilen des angeblich liederlichen Gitarristen Joyce fügen sich mit keltischer Leichtigkeit in die Vierviertelrhythmen dieser Interpreten aus Rock, Folk und Electronica. Umgekehrt scheinen diese die simple Stärke der vielen Liebesgedichte auszukosten. Und ihre strukturelle Offenheit: Anders als bei konventionellen Songtexten gibt es bei Joyces knappen Versen keine Refrains, die alle vier Zeilen wiederholt werden müssen.
Besonders interessant ist der Beitrag der weitgehend unbekannten Venture Lift. Dabei handelt es sich nicht bloss um eine Joyce-Interpretation, sondern auch um eine versteckte Coverversion. 1969 vertonte der britische Sänger Syd Barrett, ein Jahr zuvor aus Pink Floyd ausgeschieden, das fünfte Gedicht aus «Chamber Music». Die ätherische Melodie seines Songs «Golden Hair» schwingt bei Venture Lift als wiederkehrendes Fragment mit.
Joyce wird nicht als Textautor genannt
Barretts Verleger holten damals das Einverständnis von Joyces Nachlassverwalter ein. Ob die Londoner Plattenfirma Fire Records für «Chamber Music» das gleiche administrative Prozedere durchlaufen hat, bleibt unbekannt. Nach klärenden Angaben sucht man auf dem CD-Beiblatt vergebens, und Joyce wird auch nirgends als Textautor genannt. Dieses Informationsmanko könnte sehr wohl juristische Gründe haben. Bei der Freigabe von Joyces Werken und Briefen gehen die Nachfahren und Anwälte oft gar streng vor.
So musste Kate Bush ihren Song «The Sensual World» 1989 umschreiben, weil ihr die Verwendung von Teilen aus Molly Blooms berüchtigtem Monolog verboten worden war. Auch gingen 1998 die Gerichte gegen eine «Ulysses»-Lesung im Internet vor, obwohl diese immerhin unter dem Patronat vieler irischer Parlamentarier stand. 2006 sah sich Professor Carol Shloss von der renommierten Stanford-Universität gezwungen, selber eine Gerichtsklage gegen Joyces Nachlassverwalter zu lancieren, weil diese ihr untersagt hatten, in einem Buch über Lucia Joyce die Schriften von deren Vater zu zitieren.
Gerne hätte der TA bei Fire Records nachgefragt, wie sie zur exklusiven Ehre kam, Joyces Texte nutzen zu dürfen. Bis Redaktionsschluss reagierte die Plattenfirma aber weder auf E-Mails noch auf Combox-Nachrichten. Vielleicht ist die Angst vor den joyceschen Nachlassverwaltern zu gross, als dass man zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte.
Grosses Medienecho
Gleichzeitig profitiert das kleine Label stark von der Werbewirkung der Doppel-CD: Kein anderes Album in der 20-jährigen Labelgeschichte hat ein derart grosses Medienecho gefunden – und das hat bestimmt mehr mit Joyces Renommee zu tun als mit der ebenfalls hohen Qualität dieser so melancholischen wie eklektischen Hommage.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch