Jeder fünfte Jungvogel ist für die Katz
Wenn junge Vögel flügge werden, sind sie eine leichte Beute für Katzen. Vogelschützer verlangen deshalb, dass die Haustiere während der Brutsaison drinnen bleiben sollen.

In der Voliere am Mythenquai herrscht Hochbetrieb: Etwa 40 Jungvögel zetern, zwitschern, wollen gefüttert und vor allem gesund gepflegt werden. Die meisten von ihnen kamen einer Katze in die Fänge. Zudem läutet das Telefon ständig: «Meine Katze hat einen Vogel heimgebracht – was soll ich mit ihm machen?» Tierpfleger Marc Stähli sagt: «Sicher zwei Drittel der verletzten Jungvögel, die uns gebracht werden, sind Opfer von Katzen.» Und: «Es gibt einfach zu viele Katzen bei uns.»
Diese Meinung vertritt dezidiert auch Johann Frei, der die Vogelpflegestation Winterthur betreibt. Der Architekt kommt zurzeit kaum mehr dazu, seiner ordentlichen Arbeit nachzugehen, weil er sich ständig mit Jungvogel-Notfällen beschäftigen muss: «Letzte Woche kamen an einem Tag acht Anrufe, sieben davon von Katzenhaltern, deren Katze einen Vogel gefangen hat.» Was rät er ihnen? «Sie sollen die Katze abtun», sagt er spontan und zornig.
Die gefährlichste Zeit für Vögel
Genaue Zahlen, wie viele Jungvögel Opfer von Katzen werden, gibt es nicht. Laut Thomas Kuske, Geschäftsführer von Birdlife Zürich, gilt als Faustregel: Rund ein Fünftel der Jungvögel sterben, weil sie von einer Katze erwischt werden. «Die Zeit, in der die Vögel flügge werden, ist generell der gefährlichste Lebensabschnitt für Vögel.» Die Jungvögel verlassen nämlich manchmal das Nest, bevor sie richtig fliegen können. Wahrscheinlich aus Platznot. Sie werden dann zwar am Boden von den Eltern weiter gefüttert, machen aber durch ihr aufgeregtes Flattern und lautes Rufen Fressfeinde auf sich aufmerksam – zum Beispiel Katzen oder Sperber.
Dass tatsächlich eine Katze des Wegs kommt, ist in der Schweiz mit ihrem Bestand von 1,2 Millionen Hauskatzen nicht unwahrscheinlich. Im Mittelland leben 50 bis 60 Katzen pro Quadratkilometer. Und da diese oft nicht jagen, weil sie Hunger haben, sondern weil das in ihrer Natur liegt, erbeuten sie, was ihnen unter die Kralle kommt – und leicht zu fangen ist. Wie eben ungeschickte Jungvögel, aber auch Frösche, Molche, Eidechsen und Blindschleichen. Diese sind vor allem leichte Beute, wenn es kühl ist, da sie dann träger sind.
Nicht hauptschuldig
Sind die Katzen eine Gefahr für den Vogelbestand? Laut Michael Schaad von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach können Katzen den Druck auf eine Vogelpopulation schon erhöhen. «Aber die Katzen sind nur einer von mehreren Faktoren.» Auch die Qualität des Lebensraums habe einen grossen Einfluss auf den Vogelbestand. «Wenn genügend Nahrung, Verstecke und Nistmöglichkeiten vorhanden sind und auch das Klima stimmt, können die Vögel auch höhere Verluste wettmachen.»
Laut Thomas Kuske sind Katzen aber in Gegenden, wo Siedlungsgebiete an Feuchtgebiete oder andere Naturschutzflächen grenzen, wie etwa im Robenhauser Riet, durchaus ein nicht zu vernachlässigendes Problem: «Dort kommt einer Katze leider schon einmal ein Jungvogel einer gefährdeten Art – beispielsweise eine Rohrammer – zwischen die Krallen.» In Siedlungen, wo Katzen meist häufige Vogelarten wie Amseln, Rotkehlchen, Meisen, Finken und Spatzen erbeuten, handle es sich hingegen weniger um ein Artenschutzproblem als darum, unnötige Verluste zu vermeiden.
Während die Katzen ihre erbeuteten Vögel stolz nach Hause tragen, sind die meisten Halter darob gar nicht erfreut. Was können sie tun, damit das Büsi nicht zum Räuber wird? Schaad und Kuske raten dazu, die Katzen nicht nach draussen zu lassen, wenn man frisch ausgeflogene Jungvögel in der Umgebung beobachtet. Was wiederum von vielen Katzenhaltern als Tierquälerei empfunden wird. Laut dem bekannten Katzenforscher Dennis C. Turner wäre es zumutbar, Katzen einige Tage während der Jungvogel-Brutzeit drinnen zu halten. Allerdings dauert die Brutzeit, wenn man die verschiedenen Vogelarten berücksichtigt, einiges mehr als einige Tage. Turner schlägt deshalb vor: «Sinnvoller wäre eine Ausgangssperre tagsüber. Und in der Nacht lässt man die Katze raus.»
Das umstrittene Glöckchen
Michael Schaad schliesst sich zudem der Empfehlung des Tierschutzes an, die Katzen kastrieren zu lassen, weil sie dann weniger herumstreunen. Ob es nützt, der Katze ein Halsband mit einem Glöckchen umzubinden, ist umstritten. Gerade im lärmigen Umfeld der Stadt sei das Bimmeln für nervöse Jungvögel kaum Warnung genug, sagt Stähli von der Voliere Mythenquai. Zudem bewege sich eine lauernde Katze ja eben nicht. Manche Katzenhalter befürchten zudem, dass die Katze sich mit dem Halsband irgendwo verfängt und sich strangulieren könnte. Den Vögeln am nachhaltigsten nützt – da sind sich die Experten einig – die naturnahe Gestaltung des Gartens. In solcher Umgebung finden die Vögel genügend Nahrung und Nistmöglichkeiten, und die Jungvögel können sich besser vor Katzen verstecken.
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