Zweitreichster Mann der WeltJeff Bezos tritt als Amazon-Chef ab
Der Gründer des amerikanischen Onlineriesen verkündet seinen Rückzug, um sich anderen Projekten zu widmen – so wie das schon viele Firmengründer getan haben. Es geht um sein Vermächtnis.

Da steht er also, dieser Jeff Bezos, auf einer Plattform in dieser überdimensionierten Lagerhalle, und man wüsste nur zu gern, was er in diesem Moment denkt. Es ist April 2020, die Pandemie hat gerade erst begonnen, der Amazon-Gründer besucht eines dieser Fulfillment-Center, die zu Symbolen des Konzerns geworden sind. Die Mitarbeiter begrüssen ihn respektvoll, ja fast schon ängstlich, obwohl Bezos überaus freundlich und dankbar daherkommt.
Vielleicht dachte er daran, wie er 1993 im Auto von New York nach Seattle das Geschäftsmodell von Amazon auf Papier kritzelte. Wie er diese Firma zu einem der wertvollsten Konzerne der Welt machte (Wert am 3. Februar 2021: 1,69 Billionen Dollar) und sich selbst zu einem der reichsten Menschen auf diesem Planeten. Die aktuelle Schätzung des Magazins Forbes liegt bei 188 Milliarden Dollar. Vielleicht aber waren seine Gedanken aber auch: Und nun?
Am Dienstag hat Bezos verkündet, dass er im Juli als Chef aufhören und in den Verwaltungsrat des Konzerns wechseln möchte. Die Nachricht betrifft weniger Amazon, dem Unternehmen geht es blendend, wie die aktuellen Quartalszahlen belegen: Der Umsatz wuchs um 44 Prozent auf 125,6 Milliarden Dollar, der Gewinn wurde mit 7,2 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Die Prognosen fürs laufende Geschäftsjahr liegen deutlich über denen der Analysten. Nachfolger Andy Jessy, der derzeit die boomende Cloud-Sparte AWS verantwortet, wird einen gesunden Konzern übernehmen.
Respektiert, aber nicht geliebt
Warum verkündet Bezos kurz nach seinem 57. Geburtstag seinen Rückzug? «Ich komme noch immer tänzelnd ins Büro», schreibt er in einer E-Mail an die Mitarbeiter. Er schreibt aber auch, dass er seine «Aufmerksamkeit und Energie auf neue Produkte und Initiativen in den Kinderschuhen» legen wolle. Konkret nennt er karitative Projekte wie «Day 1 Fund» für die Bildung unterprivilegierter Kinder und den «Bezos Earth Fund» zur Bekämpfung des Klimawandels. Er nennt die Weltraum-Firma «Blue Origin» und das Medienhaus Washington Post.
Bezos ist freilich nicht der erste Selfmade-Milliardär, der sich aus seiner Firma zurückzieht und feststellt, dass da noch jede Menge Leben übrig ist. Die Liste der Projekte zeigt jedoch, dass es ihm dabei nicht um Spass und Abenteuer geht. Vielleicht haben ihm die Besuche im Fulfillment-Center sowie die Begegnungen mit den Angestellten auch was anderes gezeigt: Ja, Jeff Bezos wird allseits respektiert, weil er nicht nur gezeigt hat, dass jemand mit einer Idee und viel Ehrgeiz wirklich vom Rädchen im Corporate America zum Milliardär werden kann. Er hat nichts weniger als die Welt verändert mit seinem Fokus auf Online-Handel und Kundenfreundlichkeit, und er hat in vielen Sparten den richtigen Riecher und auch Mut zu riskanten Investitionen bewiesen.
Zwiespältiges Vermächtnis
Er wird respektiert, das schon. Doch Bezos gilt vielen noch immer als Symbolfigur dafür, dass es das Buchgeschäft und den Tante-Emma-Laden nicht mehr gibt, und er ist für viele auch die Symbolfigur für miserable Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung und den Verkauf gefälschter Produkte. Zudem gilt Amazon wie viele Tech-Konzerne als Meister in der Kunst, keine oder sehr wenig Steuern zu zahlen.
Kann es sein, dass Jeff Bezos, nachdem er als Geschäftsmann so ziemlich alles erreicht hat, an seinem persönlichen Vermächtnis arbeiten will? Die Tech-Branche hat wirklich die Welt verändert – zumindest jenen Teil der Welt, für den sie sich interessiert. Sie hat auch für eine ganze Reihe neuer Probleme gesorgt, ein vergiftetes gesellschaftliches Klima wegen Verbreitung von Falschmeldungen zum Beispiel. Vielleicht will sich Bezos deshalb verstärkt um die Washington Post kümmern, und das Engagement in Klimaschutz und Raumfahrt zeigt, dass er das Leben auf diesem Planeten, solange es geht, ermöglichen will – aber trotzdem schon mal am Umzug zum nächsten bastelt.
Seine E-Mail an die Mitarbeiter endet mit: «Erfindet immer weiter. Verzweifelt nicht, wenn eine Idee erst mal verrückt klingt. Denkt daran abzuschweifen, die Neugier soll euer Kompass sein. Es bleibt immer Tag eins.» Für ihn ganz persönlich werden diese Worte von Juli an auch gelten.
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