Neue Ära in IndonesienJetzt droht der Palmöl-Boom
Nun läuft das Palmöl-Moratorium in den Regenwäldern aus. Naturschützer befürchten das Schlimmste. Was das für die Natur heisst und ob ein Boykott wirklich hilft.

Es muss ein Tiger gewesen sein. Blutspuren führten zurück in den Wald, das Opfer, das zurückblieb, war schrecklich zugerichtet. Ein Plantagenarbeiter, 16 Jahre alt. Er hat den Angriff nicht überlebt, wie Indonesiens Zeitungen vor einigen Wochen berichteten. Gewöhnlich sind Sumatra-Tiger extrem scheue Tiere, sie meiden den Menschen, wo sie nur können. Doch ihre Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war, sonst wäre es wohl nie zu diesem Zusammenstoss gekommen. Das Tier war vermutlich gestresst oder extrem hungrig. Menschen zählen nicht zu seiner bevorzugten Beute.
Der Clash, der sich in der indonesischen Provinz Riau zutrug, ist ein alarmierendes Symptom. Die tropischen Wälder in Indonesien schrumpfen rapide, schneller als in jedem anderen Land der Welt. So verlieren die Tiger ihre Reviere, es gibt weniger Affen, Rehe und Schweine, von denen sich die Raubkatzen ernähren. Und Wilderer, die Körperteile der Tiger als vermeintliches Potenzmittel verkaufen, haben ein leichtes Spiel. Expertinnen und Experten schätzen, dass nur noch 200 bis 400 der Grosskatzen durch die Wälder Sumatras streifen.
Neue Jobs sind wichtiger als die Umwelt
Indonesiens Präsident Joko Widodo wollte die brachiale Abholzung in seinem Land, die viel mit Missmanagement und Korruption zu tun hat, eigentlich bremsen. Dafür hatte er 2018 ein viel beachtetes Signal gesetzt: Per Erlass wurde die Vergabe neuer Palmöl- Konzessionen für drei Jahre ausgesetzt. Doch nun ist das Moratorium vor wenigen Tagen ausgelaufen, Waldschützer fragen sich: Was kommt jetzt?
«Es gibt noch keine offizielle Stellungnahme, was die Regierung genau plant», sagt Annisa Rahmawati, Waldexpertin der Umweltorganisation Mighty Earth, man erreicht sie in Bogor am Telefon. Ökologen befürchten einen erneuten Palmölboom, mit verheerenden Konsequenzen für die letzten Regenwälder Indonesiens.
«Wir haben Sorge, dass dieses Gesetz die Expansion von Palmöl befördert, hinein in bewaldete Gebiete», sagt Arie Rompas von Greenpeace in Jakarta. «Es wäre wichtig für die Biodiversität, das Moratorium zu verlängern.» Die Zerstörung der Regenwälder macht einen grossen Teil der Treibhausgase aus, die Indonesien emittiert. Ausserdem gilt die Plantagenwirtschaft als Killer von Biodiversität. Nach Einschätzung der Weltnaturschutzunion IUCN ist die Palmölproduktion eine der grössten Bedrohungen für 193 Arten.
Konzerne legen ihre Plantagen am liebsten dort an, wo noch Wald steht, das verspricht doppelten Profit.
«Wir dürfen jetzt nicht die Fehler wiederholen, die wir früher in Sumatra und Kalimantan gemacht haben», warnt die Biologin Rahmawati. Beispiel Sumatra: Dort haben Firmen riesige Waldflächen in Palmölplantagen umgewandelt, selbst auf Torfböden, die völlig ungeeignet sind. Sie brennen leicht und lange, in trockenen Jahren wüten die Feuer auf riesigen Flächen.
2020 war ein sehr feuchtes Jahr in der Region, 2021 auch. Der Regen dürfte die Waldzerstörung kurzzeitig gebremst haben. Hat Indonesien also noch eine Chance, seine letzten Regenwälder zu schützen? Die grössten Flächen liegen jetzt noch im Westteil der Insel Neuguinea, den Indonesien als Teil seines Staates reklamiert. Das Gebiet ist kaum entwickelt und politisch explosiv, weil sich eine indigene Unabhängigkeitsbewegung gegen Jakarta stemmt. «Dort steckt die Palmölindustrie noch in den Anfängen», sagt Rahmawati, «die schlechte Infrastruktur macht Investitionen teuer.»
Gleichwohl locken die Waldgebiete, die der grossen Zerstörung bisher entkommen sind, Investoren an. Konzerne legen ihre Plantagen am liebsten dort an, wo noch Wald steht, das verspricht doppelten Profit. Erst roden sie die wertvollen Stämme, dann pflanzen sie Palmen. Lukrativ sind die Geschäfte allemal, solange der weltweite Bedarf an Pflanzenölen steigt.

Aufrufe zum pauschalen Boykott von Palmöl werden immer wieder laut. Ilka Petersen vom World Wildlife Fund (WWF) hat allerdings Zweifel, ob dies der richtige Weg ist und die Probleme löst. Die Produktion von mehr als 70 Millionen Tonnen ist im globalen Markt der Pflanzenöle so bedeutsam, dass man sie nicht einfach durch andere Stoffe ersetzen könnte. Und wer die ökologischen Folgen des Palmöls anprangert, muss sich auch damit auseinandersetzen, dass der Anbau alternativer Pflanzenöle viel mehr Fläche verbraucht.
Petersen rät Verbrauchern eher dazu, «so sparsam mit Palmöl umzugehen wie möglich». Generell gilt, dass wachsender Wohlstand den Konsum von Pflanzenölen in die Höhe treibt, zum Beispiel durch den Absatz von Kosmetika oder Süssigkeiten. Die Biologin Rahmawati sagt, dass schon einiges gewonnen wäre, wenn die vielen Kleinbauern, die vom Palmöl leben, durch Hilfen und Know-how ihre Produktivität steigern könnten. Das würde deren Einkommen verbessern, ohne weitere Waldgebiete zu opfern.
Ökologisch geht es nun darum, bestehende Waldgebiete so gut wie möglich abzuschirmen, zerstörte Flächen aufzuforsten und grüne Korridore zu etablieren, die fragmentierte Wälder miteinander verbinden, sodass bedrohte Arten wie der Orang-Utan noch Überlebenschancen haben.
Das Moratorium sah vor, alle Konzessionen zu überprüfen. Wie weit die Regierung damit gekommen ist, bleibt unklar, sie hat ihre Ergebnisse bisher nicht veröffentlicht. Strafen sind zumeist ausgeblieben, selbst bei drastischen Verstössen. Dokumentiert wurden diese von Umweltgruppen, etwa im Nationalpark Tesso Nilo: Luftaufnahmen zeigen, wie weit sich Palmölplantagen in den Nationalpark hineingefressen haben, ohne dass der Staat effektiv eingeschritten wäre.
Versuche, nachhaltiges Palmöl zu zertifizieren und Konzerne auf Mindeststandards zu verpflichten, hatten bisher mässigen Erfolg. Längst nicht alle Verarbeiter legen Wert auf Lieferketten mit nachhaltig gewonnenem Palmöl. Und Indonesien bekommt die Korruption kaum in den Griff, Oligarchen dominieren die Geschäfte, es mangelt an Transparenz, Kontrollen werden unterlaufen. Das alles befeuert den Waldverlust.
Ausgerechnet in Papua aber, wo Palmöl-Konzerne expandieren wollen, gab es zuletzt Schritte, die Umweltschützern Mut machen. Unternehmen, die Regeln ignorierten, verloren kurzerhand ihre Lizenzen. Das geschah allerdings noch während des Moratoriums. In jedem Fall aber gibt es noch grosse Flächen Wald, die zu retten wären. Der Staat müsste nur handeln, mit oder ohne Moratorium.
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