Jetzt kümmert sich die Justiz um Wulffs Telefonate
Mit seinen Anrufen beim Springer-Verlag hat sich Christian Wulff richtigen Ärger eingehandelt: Der Staatsanwalt prüft einen Verdacht auf Nötigung – führende Politiker fordern eine Erklärung.

Nach dem Drohanruf des Bundespräsidenten Christian Wulff bei «Bild»-Chefredakteur Kai Diekmann prüft die Staatsanwaltschaft Berlin, ob in dem Fall ein Anfangsverdacht der Nötigung besteht. «Wir haben eine Anzeige wegen Nötigung im Zusammenhang mit der Mailbox-Nachricht erhalten», sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, auf Anfrage der Nachrichtenagentur DAPD. Er bestätigte damit einen Bericht der «Berliner Zeitung».
Steltner betonte, die Anzeige komme nicht von einem der Beteiligten, sondern von einer dritten Person und sei heute Dienstag per E-Mail eingegangen. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, in solchen Fällen einen Anfangsverdacht zu prüfen.
Drohungen auf Combox
Wulff hatte nach Angaben der «Bild»-Zeitung mit einem Anruf bei Chefredaktor Diekmann persönlich versucht, einen kritischen Artikel des Blattes zu verhindern.
Demnach hat er bei der Botschaft auf Diekmanns Mailbox auch mit strafrechtlichen Konsequenzen gegen den verantwortlichen Redakteur gedroht. Auch den Verleger der Bild, Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner, soll Wullf in der Folge persönlich angerufen und sich bei ihm für die Einstellung der Berichterstattung eingesetzt haben.
Weitere Fälle bekannt
Wie heute bekannt wurde, hat auch die «Welt am Sonntag» (die ebenfalls vom Springer-Verlag herausgegeben wird) ähnliche Erfahrungen mit Bundespräsident Wulff gemacht. Laut einem Bericht von Welt online hat Wulff im vergangenen Sommer dort ebenfalls persönlich bei der Chefredaktion sowie «an höchsten Verlagsstellen» interveniert.
Damals soll es um die Veröffentlichung einer Familiengeschichte gegangen sein. Einen der involvierten Redakteure soll Wulff an seinen Amtssitz auf Schloss Bellevue gebeten und ihm dort persönlich mit «unangenehmen und öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen gedroht» haben.
Mehrere Anzeigen
Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte zudem, neben der Anzeige wegen Nötigung seien noch zwei bis drei weitere Anzeigen wegen der Finanzierung des Privathauses des Bundespräsidenten eingegangen. Diese habe man an die Staatsanwaltschaft Hannover abgegeben. Welt online beziffert die Gesamtzahl der gegen Wulff eingereichten Strafanzeigen mit 20.
Mit den jüngsten Entwicklungen hat sich der Druck auf Wulff massiv verstärkt. Im Zentrum stehen nicht mehr die ursprünglichen Vorwürfe im Zusammenhang mit einem günstigen Hauskredit, den Wulff in seiner Zeit als niedersächsicher Ministerpräsident von einem befreundeten Geschäftsmann erhalten haben soll. Viel stärker in Bedrängnis bringt ihn der Umgang mit den Medien, die über den Fall berichteten.
«Glaubwürdigkeit infrage gestellt»
«Die jetzige Debatte geht viel stärker an den Kern der Aufgaben des Bundespräsidenten heran als die ursprüngliche Affäre», zitiert die Agentur dapd den Medienexperten Ansgar Zerfass von der Universität Leipzig. Der Einfluss des Bundespräsidenten beruhe vor allem auf seiner Rolle im öffentlichen Diskurs. «Die Kompetenz und Glaubwürdigkeit hierbei wird nun infrage gestellt», sagte er.
Die Aufregung über die Anrufe Wulffs beim Springer-Verlag erklärte Zerfass damit, dass dieser die Grenzen des etablierten Zusammenspiels von Politik und Medien nach dem Prinzip Geben und Nehmen überschritten habe.
Johannes Weberling, Presserechtler in Berlin, äusserte sich gegenüber Welt online folgendermassen: «Falls der Sachverhalt wie dargestellt stimmt, müssen Strafrechtler klären, ob es sich um versuchte Nötigung handelt. In jedem Fall handelt es sich um eine versuchte Einflussnahme auf Medien.»
Politiker verlangen eine Erklärung
Auch Politiker aller Couleur zeigen sich zunehmend irritiert vom Verhalten des Bundespräsidenten – Linke mehr, Vertreter der schwarz-gelben Koalition weniger. Doch auch Politiker aus CDU und FDP fordern mittlerweile öffentlich eine Erklärung Wulffs zu den neuen Erkenntnissen. Vertreter von SPD, der Linken und der Grünen gehen einen Schritt weiter und stellen Wulffs Eignung für das Amt offen in Frage.
Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff hofft angesichts der «irritierenden Vorgänge der vergangenen Wochen» auf klärende Worte von Wulff. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte lediglich, Wulff habe sich für seinen Anruf bei «Bild» entschuldigt, und das sei angenommen worden. «Das sollte nun auch von allen respektiert werden.»
Deutlicher wurde der Koalitionspartner. FDP-Vizepräsident Holger Zastrow sagte, er erwarte noch in dieser Woche eine Erklärung. Wulff sei «in der Pflicht, das aufzuklären. Wenn es so sein sollte, dass er als Bundespräsident persönlich zum Hörer greift, einen Chefredakteur anruft, auf die Mailbox spricht, dann ist das nicht die Grösse, die ich von einem Bundespräsidenten erwarte», sagte Zastrow weiter.
«Ein peinlicher Präsident»
Die SPD, die sich bislang mit Kritik zurückgehalten hatte, ging Wulff offensiv an. Der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy sagte, Deutschland brauche keinen Präsidenten, «der zwar sagt, die Pressefreiheit sei ein hohes Gut, sie aber im Alltag mit Füssen tritt». Es sei «peinlich, einen solchen Bundespräsidenten zu haben», sagte Edathy. Wulff müsse sich dringend fragen, ob er noch in der Lage sei, sein Amt auszufüllen.
Der Linke-Abgeordnete Wolfgang Neskovic hält Wulff für eine Fehlbesetzung. Ein Präsident, «bei dem insgesamt der Eindruck entsteht, er hat zur Wahrheit kein ethisches, sondern lediglich ein kalkulatorisches Verhältnis, ist in diesem Amt fehl am Platze», sagte Neskovic.
dapd/sda/ami
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