Neue Waffe der UkraineJetzt nehmen Schwimmdrohnen russische Kriegsschiffe ins Visier
Die russische Schwarzmeerflotte ist von einem Schwarm ferngesteuerter Sprengboote angegriffen worden. Experten sprechen von einer neuen Art der Kriegsführung.
Am 21. September machten die Russen am Hafen von Sewastopol einen überraschenden Fund. Unweit ihres grössten Marinestützpunktes auf der Krim wurde ein unbemanntes Boot an Land gespült. So gross wie ein Kajak, schwarz gestrichen, mit Videokameras, einem Infrarotsichtgerät und Sensoren sowie einem auf Schnelligkeit ausgelegten Wasserstrahlantrieb. Marineexperte HI Sutton schrieb damals, das Boot könnte dazu verwendet werden, ein anderes Schiff zu rammen und zur Explosion zu bringen.

Über einen Monat später deutet vieles darauf hin, dass die Theorie sich bestätigt hat und beim jüngsten Angriff auf russische Marineschiffe in Sewastopol eines dieser neuen Kamikaze-Drohnenboote eingesetzt wurde. Auch wenn es bislang keine offizielle Bestätigung gibt, dass Kiew dahintersteckt, ist für viele Kriegsbeobachter klar: Die Ukraine hat den Angriff durchgeführt. Einige Experten kommen gar zum Schluss, der Einsatz der im Fachjargon USV (Unmanned Surface Vessel: unbemanntes Überwasserfahrzeug) genannten Sprengboote in Minischwärmen sei eine neue Art der Kriegsführung.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums waren an dem jüngsten Angriff acht Luftdrohnen und sieben Wasserdrohnen beteiligt. Laut Moskau wurden alle fliegenden Drohnen und vier Bootsdrohnen zurückgeschlagen und weitere an Land zerstört. Nur das Minenräumschiff Iwan Golubez und Anlagen in einer Bucht seien leicht beschädigt worden.
Marineexperten auf Social Media kommen zu einem anderen Schluss. Die Gruppe Geoconfirmed schreibt, dass sie nach Auswertung des Videos und des Bildmaterials davon ausgehe, dass eine Fregatte der Admiral-Grigorowitsch-Klasse ebenfalls vom Drohnenangriff betroffen sei. In Sewastopol würde die Admiral Makarow, nach dem Untergang der Moskwa das neue Flaggschiff der Russen, in diese Klasse passen. Ein auf Social Media kursierendes Video stoppt, als eine Drohne das russische Boot erreicht. Deshalb ist unklar, ob die Makarow allenfalls auch beschädigt wurde.
Klar ist: Der Angriff bedeutet für die russische Kriegsführung, dass die Schwarzmeerflotte als Herzstück der Militärmacht auf der annektierten Krim nicht sicher ist.
Andriy Zagorodnyuk, ehemaliger ukrainischer Verteidigungsminister, spricht im «Guardian» von einer «interessanten Entwicklung». Die Schwarmtaktik habe das russische Verteidigungssystem offenbar überfordert. «Wenn sie eine oder zwei Drohnen abschiessen, kommen andere durch.»
Zagorodnyuk zeigte sich beeindruckt von der «ziemlich starken Livevideoverbindung» der Drohnen. «Sie konnten den Angriff aufzeichnen, obwohl sie mehr als 160 Kilometer von der ukrainischen Küste entfernt im Einsatz waren.» Im Gegensatz dazu seien die iranischen Kamikaze-Drohnen, die in der Ukraine Städte und Infrastruktur angreifen, primitiver und «fliegen blind».
Für den australischen Militärexperten und Ex-General Mick Ryan zeigt der Angriff, «wie anpassungsfähig die Ukrainer sind». Sie hätten in kürzester Zeit eine neue maritime Angriffsfähigkeit entwickelt, die ihr wachsendes Arsenal an Langstreckenraketen ergänze. Ryans Fazit: «Eine neue Waffe zu haben, ist gut; sie clever in militärische Kampfkonzepte zu integrieren, ist der Gipfel der militärischen Effektivität.» Ob die Ukrainer dabei Hilfe von Verbündeten aus dem Ausland hatten, ist unklar.
«Das ist ein weiteres Indiz für die schlampige Professionalität der Russen.»
Die Branchenplattform «Naval News» fokussiert in einer Analyse zum Angriff dagegen auf die Schwächen der russischen Militärs: Spätestens nachdem das unbemannte Drohnenboot im September angeschwemmt worden sei, hätten die Russen alarmiert sein müssen. Der Angriff vom Samstag zeige, dass Russland «grundlegende Fähigkeiten wie Hafenschutz, Aufklärung und genaue Einschätzung der Fähigkeiten des Feindes» fehlten.
Um die Drohnen in die Nähe des Hafens von Sewastopol zu bringen, habe es für die Ukrainer zwei Optionen gegeben. Entweder über den Wasserweg oder über Land. Im ersten Fall sei es angesichts der zurückzulegenden Distanz «inakzeptabel», dass die Drohnen nicht entdeckt worden seien – auch wenn sie wegen ihrer geringen Höhe von Radaren schwer zu orten seien.
Falls die Drohnen über Land in die Nähe des Hafens gebrachten worden und erst dann zu Wasser gelassen worden seien, spreche das ebenfalls gegen die Russen. Dann hätten sie auf von ihnen kontrolliertem Gebiet einen Sabotageangriff zugelassen. Auch Ex-General Ryan spart nicht mit Kritik an den Russen. «Ihre Unfähigkeit, sich schnell auf solche offenkundigen und offensichtlichen Bedrohungen einzustellen, ist ein weiteres Indiz für ihre schlampige Professionalität», schreibt er.
Laut dem russischen Verteidigungsministerium sollen die ferngesteuerten Kampfboote nachts in der Nähe der ukrainischen Hafenstadt Odessa gestartet worden sein. Die Boote hätten zunächst den für die Getreidetransporte festgelegten Seekorridor genutzt, um dann Kurs auf Sewastopol zu nehmen. Die Navigationstechnik der kajakförmigen Boote stamme aus Kanada. Beweise dafür legten die Russen keine vor.
Filmmaterial deutet darauf hin, dass die russischen Einheiten versuchten, die USV-Boote mit Helikoptern aus der Luft anzugreifen. Ein so kleines und schnelles Boot mit klassischen Waffen zu treffen, ist laut den Experten aber schwierig. Angriffe mit intelligenter Munition oder Raketen seien zielführender.
Kampf per Fernsteuerung
Bislang gab es in der Geschichte vor allem Angriffe mit grösseren Sprengstoffbooten. So verübte das islamistische Terrornetzwerk al-Qaida am 12. Oktober 2000 einen Anschlag auf den amerikanischen Zerstörer USS Cole im Hafen von Aden. Dabei steuerten zwei Terroristen ein Schiff mit Sprengstoff auf den Zerstörer zu. 17 Angehörige der US-Navy kamen ums Leben. Bereits im Zweiten Weltkrieg setzten mehrere Länder kleinere Sprengboote erfolgreich ein. In den vergangenen Jahren sorgten die vom Iran unterstützten jemenitischen Huthi-Rebellen mit ferngesteuerten Drohnenbooten im Roten Meer für Aufsehen.
«Naval News» mutmasst nun, dass Drohnenschwärme zu Luft und im Wasser zu einem grossen Problem für die millionenteuren Kampfschiffe werden. «In künftigen Konflikten wird es für Schiffe, die nicht mit effektiven Schutzsystemen ausgestattet sind, noch schwieriger.»
Bei den Kämpfen in der Ukraine spielen die russischen Schiffe im Schwarzen Meer bisher nur eine Nebenrolle. Ex-General Ryan sagt in seiner Analyse, die Kriegsparteien griffen zunehmend auf ferngesteuerte oder autonome Systeme zurück. Das bedeute, dass Russland und die Ukraine «noch mehr in Drohnenabwehr- und autonome Abwehrsysteme investieren müssen.»
nlu
Fehler gefunden?Jetzt melden.