Julija Timoschenko will zurück an die Macht
Die chaotischen Zustände in der Ukraine könnten zu Neuwahlen und einem Comeback der ehemaligen Regierungschefin führen. Sie muss aber mit viel Widerstand rechnen.

In der ukrainischen Regierungskrise sieht Julija Timoschenko ihre Chance für eine Rückkehr ins grosse Spiel. Kann die ehrgeizige Politikerin Neuwahlen erzwingen? Der berühmte geflochtene Haarkranz ist weg, und neuerdings trägt sie eine modische Brille – sonst aber hat sich Timoschenko kaum verändert.
Gewohnt umtriebig präsentiert sich die ukrainische Ex-Regierungschefin in der schweren innenpolitischen Krise, während ihre Kollegen in Kiew fast wie gelähmt wirken. Nach dem Bruch der prowestlichen Koalition wittert die 55-Jährige ihre Chance, bei möglichen Neuwahlen ins grosse Spiel zurückzukehren.
Timoschenko in einer Schlüsselrolle, auch im schwierigen Verhältnis der Ukraine zu Russland: So sieht sich die Fraktionschefin der Vaterlandspartei am liebsten.
Grosse Enttäuschung 2010
Ein Comeback auf grosser Bühne – das wäre ein Trostpflaster für die verlorene Präsidentenwahl 2010 und die schmachvollen knapp sechs Prozent bei der Parlamentswahl 2014. Damals war Timoschenko gerade aus umstrittener Haft freigelassen worden. Eindringlich warb auch ihre Tochter Jewgenija in Interviews für ihre Mutter. Doch es kam anders: Timoschenkos Versuch, den Nato-Beitritt der Ex-Sowjetrepublik zum Wahlkampfthema zu machen, erwies sich als Rohrkrepierer.
Nun startet die in undurchsichtigen Gas-Geschäften reich gewordene Politikerin eine neue Attacke auf die Macht. Mit Getöse stieg ihre Vaterlandspartei im Februar aus der westlich orientierten Koalition von Regierungschef Arseni Jazenjuk aus. Ende März könnte Präsident Petro Poroschenko Neuwahlen ansetzen: Eine Chance für Timoschenko, die Erfolge der jüngsten Kommunalwahl fortzusetzen. Umfragen sprechen ihr derzeit bis zu 15 Prozent zu. Doch Prognosen haben in dem Land, in dem Korruption allgegenwärtig scheint, nur bedingte Aussagekraft.
Verschiedene Vorstellungen vom «Neustart»
Zudem haben weder der Westen, noch die einflussreichen Oligarchen Interesse an Neuwahlen. Zu gross ist das Risiko, das vom Krieg gegen prorussische Separatisten sowie einer Wirtschaftskrise geplagte Land weiter ins Chaos zu stürzen.
Hinzu kommt eine persönliche Abneigung: Poroschenko hat es wohl nie verziehen, dass ihm Timoschenko 2005 nach der prowestlichen Orangenen Revolution den Posten des Regierungschefs weggeschnappt hatte. Der damalige Präsident Viktor Juschtschenko zog vor kurzem ein vernichtendes Fazit der Zusammenarbeit: «Wenn du Zerstörung brauchst – lass Timoschenko wieder auferstehen», warnte er in der Zeitung «Segodnja».
Timoschenko ficht das nicht an. Das politische System der Ukraine müsse neu gestartet werden, forderte die Ex-Regierungschefin vor kurzem nach Gesprächen in Brüssel. Zwar sprachen zuletzt auch die einflussreichen Onlinezeitungen «Nowoje Wremja» und «Ukrajinska Prawda» vom «Neustart» – aber anders als von Timoschenko gewünscht.
Demnach soll der angeschlagene Ministerpräsident Jazenjuk einer Expertenregierung Platz machen, unter Führung der eingebürgerten US-Amerikanerin und Finanzministerin Natalja Jaresko. Vollzogen werden soll dieser Schritt demnach noch im März. Hartnäckig hält sich in Kiew der Eindruck, dass es sich dabei um eine vom Präsidialamt lancierte Wunschlösung handelt.
EU macht Druck auf Kiew
Befeuert werden die Gerüchte von Poroschenkos Fraktionschef Juri Luzenko, der nach Beratungen in Brüssel von einem Ultimatum der Europäischen Union schrieb: «Wir haben zwei Wochen für die Bildung einer neuen Koalition und einer neuen Expertenregierung.» Innerhalb von zwei bis drei Monaten sollen ernsthafte korruptionsbekämpfende Schritte unternommen werden. «Andernfalls droht uns ein Fiasko», warnte Luzenko vor einem Stopp der Finanzierung Kiews durch die EU.
Doch könnte Jaresko oder ein anderer Kandidat die nötige Mehrheit im Parlament auf sich vereinigen? Der Kiewer Politologe Wadim Karassjow hält das nicht für ausgeschlossen. «Ein neuer Ministerpräsident würde ein neues Regierungsprogramm verabschieden und hätte dann erst einmal ein Jahr Immunität», meint er. In diesem Jahr könnten dann ausstehende Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Kiew fliessen, und die jetzigen Parlamentarier hätten ein Jahr Ruhe. Für viele Parlamentarier ist das eine verlockende Aussicht – und wichtiger als Neuwahlen und Timoschenkos persönliche Ambitionen.
SDA/ofi
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