
Man stelle sich vor, die Stadt Zürich würde 16- bis 18-jährigen Komatrinkern kontrolliert Wodka abgeben, um sie in ein staatliches Programm zur Umerziehung zu locken. Es ginge ein Aufschrei durch die Bevölkerung. Zu Recht. Harter Alkohol ist für junge Menschen hochgradig schädlich. Cannabis auch. Und dennoch regt sich kaum Widerstand gegen die Pläne der Stadt, jugendlichen Kiffern mit schweren sozialen Problemen den Stoff zu besorgen, um sie einer Behandlung zugänglich zu machen.
Zugegeben, noch ist nicht genau bekannt, wie ein solches Programm aufgegleist werden soll. Aber es stellen sich doch einige Grundsatzfragen. Das beginnt bei der «Kundschaft»: Gibt es wirklich keine Alternativen, an diese Jugendlichen heranzukommen, als ihnen Drogen abzugeben? Das klingt doch sehr nach dem Weg des geringsten Widerstands.
Sie brauchen Leitplanken, nicht Cannabis
Befürworter argumentieren mit den Erfolgen der Heroinabgabe: Sie habe es ermöglicht, auch Schwerstabhängigen eine Perspektive zu geben. Doch dieser Vergleich ist mehr als fragwürdig. Für die Heroinabgabe infrage kommen nur Junkies, die seit Jahren an der Nadel hängen, die mehrere Entzugsversuche hinter sich haben und nie einen Schritt weitergekommen sind. Es sind Existenzen am äussersten Rand der Gesellschaft. Ihnen ihr Suchtmittel zu geben, ist letztlich ein Akt der Menschlichkeit.
Die jungen Kiffer sind in einer völlig anderen Lage, das geben selbst die Befürworter der Cannabisabgabe zu. Sie mögen zwar ihre Eltern und Lehrer zur Verzweiflung bringen, manche sind straffällig oder psychisch angeschlagen. Und ja, die meisten von ihnen bräuchten dringend klare Leitplanken im Leben. Aber kein 16-Jähriger hat auch nur ansatzweise eine Suchtkarriere wie ein Junkie hinter sich. Die Lage dieser jungen Männer und Frauen ist nicht halb so desolat.
Unter diesen Umständen ist eine Cannabisabgabe ethisch zumindest bedenklich, selbst unter der Prämisse einer therapeutischen Behandlung. Immerhin gäbe der Staat hier einen Stoff ab, der schwere Folgeschäden auslösen kann, wenn er im Teenageralter regelmässig konsumiert wird. Da ist jeder andere Ansatz vorzuziehen.
Und was kommt mit 18?
Kommt noch ein weiterer, wesentlicher Unterschied dazu: Die Junkies in der Heroinabgabe sind volljährig. Die Kiffer nicht. Auch das wirft Fragen auf. Ist es vertretbar, Eltern zu sagen: Wir kümmern uns um euer Kind, und um es dafür zu gewinnen, geben wir ihm Drogen? Zwar soll das Programm, soweit bisher bekannt, längerfristig auf einen Ausstieg oder zumindest auf einen «verantwortungsvollen Konsum» ausgerichtet sein. Aber was, wenn das nicht gelingt, bis der junge Konsument volljährig ist?
Jeder, der je mit jungen Menschen mit schweren sozialen Problemen gearbeitet hat, weiss, dass es Jahre gehen kann, die Betroffenen wieder auf die Spur zu bringen. Soll das Programm wirklich ernst gemeint sein, müsste es auch einen Anschluss gewährleisten, wenn die Betroffenen volljährig sind. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Jungen unter der Obhut von Therapeuten und mit dem Segen des Staats das Hirn wegkiffen, bis sie volljährig sind, und danach ohne jeden Fortschritt aus dem Programm aussteigen.
Das Problem verschärft sich, wenn man davon ausgeht, dass Cannabis für Erwachsene früher oder später legalisiert werden soll. Es wäre widersinnig, wenn der Staat Minderjährigen einen für sie verbotenen Stoff abgäbe, den sie als Erwachsene ein oder zwei Jahre später völlig legal erwerben können. So gesehen kommt das Cannabisprogramm der Stadt auch einfach zu früh. Es wäre wenig verloren, wenn man abwarten würde, welche Folgen die längst überfällige und viel sinnvollere Cannabislegalisierung für Erwachsene hat, die nun in mehreren Städten getestet werden soll. Wenn damit der Schwarzmarkt zum Erliegen kommt, ist mehr für den Jugendschutz getan, als jede staatliche Drogenabgabe erreichen kann.
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Junge Kiffer sind nicht wie Junkies
Die Stadt Zürich will Minderjährigen Cannabis abgeben, wenn sie sich einer Behandlung unterziehen. Das ist ethisch bedenklich.