Kapitänin droht nach Festnahme mehrjährige Haft
Das Rettungsschiff Sea-Watch 3 durchbrach mitten in der Nacht die Hafenblockade in Lampedusa. Die Kapitänin wurde verhaftet – aber auch bejubelt.
Ein letztes Manöver, mitten in der Nacht. Um 1.30 Uhr, als niemand damit rechnete, hat Carola Rackete, die Kommandantin der Sea-Watch 3, die Hafenblockade in Lampedusa durchbrochen und das Schiff der deutschen Hilfsorganisation an die Mole gesteuert. Es gab dabei auch einige heikle Momente. Das Motorboot der Guardia di Finanza, der italienischen Zoll- und Steuerpolizei, hatte versucht, das Rettungsschiff abzudrängen und zu stoppen. Doch die junge Kapitänin war fest entschlossen, dem fast zweiwöchigen Kräftemessen mit der italienischen Regierung ein Ende zu setzen und ihre Passagiere, 40 Migranten, an Land zu bringen.
Die NGO rechtfertigte die Landungsoperation mit einem extremen Notstand an Bord. Rackete habe keine andere Wahl gehabt. Es gab nicht mehr genug Wasser, niemand habe mehr duschen können, überall hätten sich Abfallberge getürmt. Die Sorge um die psychische Verfassung der Migranten soll zuletzt so gross gewesen sein, dass die Crewmitglieder befürchteten, manche Migranten könnten sich das Leben nehmen. Am Ende halfen fünf linke italienische Abgeordnete, die in den vergangenen Tagen ebenfalls an Deck waren. Sie hätten turnusmässig auf die Passagiere aufgepasst.
Kaum hatte das Schiff angelegt, ging die Polizei an Bord und führte Carola Rackete ab. Die italienische Nachrichtensender übertrugen die Szenen live. Die 31 Jahre alte Deutsche wirkte müde, als man sie im Fonds eines Polizeiautos wegbrachte. Unterdessen hatten sich einige hundert Menschen an der Mole versammelt. Manche klatschten Rackete zu, lobten sie für ihren Mut, unter ihnen der Pfarrer der Insel, der seit Tagen im Freien geschlafen hatte, um so gegen das Anlegeverbot zu protestieren.
Anwesend war auch Pietro Bartolo, der bekannte Arzt und Flüchtlingshelfer von Lampedusa. Es waren aber auch Kritiker der Sea-Watch vor Ort, etwa eine Politikerin der Partei von Innenminister Matteo Salvini, der rechten Lega, die den Helfern vorwarf, Lampedusa zu «überrennen». «Die Migranten können an Land gehen», sagte sie. «Doch die Crew ist Komplizin der Schlepper und gehört sofort verhaftet.»
Rackete drohen mehrere Jahre Haft
Es drohen Carola Rackete nun mehrere strafrechtliche Anklagen, die, sollte das Gericht in Agrigento sie verurteilen, je mehrere Jahre Haft zur Folge hätten. Wahrscheinlich wird man ihr vorwerfen, sie habe Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet, als sie am 12. Juni die zunächst 53 in Seenot geratenen Migranten vor der Küste Libyens aufgenommen hatte und trotz eines Angebots des nordafrikanischen Landes nicht dorthin zurückbrachte.
Rackete argumentierte immer, das bürgerkriegszerrissene Libyen sei insgesamt kein sicherer Hafen, was eine weit geteilte Meinung ist, sie würde niemals Menschen dorthin zurückbringen. Deshalb habe sie Kurs auf Lampedusa aufgenommen. Die italienischen Ermittler beschlagnahmte das Logbuch und die Funkprotokolle der Sea-Watch 3.
Der Kommandantin droht ausserdem eine Anklage wegen Ungehorsams gegen ein Schiff der Marine, das die Sea-Watch 3 am Einlaufen in italienische Gewässer hindern wollte. Das letzte Manöver in der Nacht auf Samstag könnte ihr auch noch eine Anklage wegen Gefährdung des Polizeiboots eintragen. Vor einigen Tagen startete eine Sammelaktion, die zum Ziel hat, die Gerichtskosten und die Geldstrafe von bis zu 50'000 Euro zu decken, die nun fällig werden. In den ersten 24 Stunden kamen mehr als 200'000 Euro zusammen.
Ohne Registrierung weiter?
Für die Migranten ist die Odyssee offenbar noch nicht ganz vorbei. Zwar hatten fünf europäische Länder sich bereit erklärt, je einige von ihnen aufzunehmen: Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg und Finnland. Doch Salvini machte zur Bedingung, dass die Migranten auf diese Länder verteilt würden, ohne dass man davor ihre Daten in Italien aufnimmt.
Der Hintergrund: Werden sie in Italien registriert, mit Fotos und Fingerabdrücken, gilt Italien als Erstland. Gemäss Dubliner Abkommen könnten die Migranten dann jederzeit wieder nach Italien zurückgebracht werden. Offenbar wollte die EU aber keine Ausnahme zulassen. Und so sperrte sich Salvini bis zuletzt auch gegen diesen schnellen Verteilmodus.
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