Kaum vier und schon im Kindergarten
Kinder kommen immer jünger in den Chindsgi. Für die Kindergärtnerinnen ist das eine besondere Herausforderung.

Zehn grosse und fünfzehn kleine Chindsgi-Kinder in einer Klasse: Da kommt selbst eine erfahrene Kindergärtnerin wie Gabi Fink an ihre Grenzen. Um es vorwegzunehmen: Der erste Morgen ist gut verlaufen. Kein Kind hing schreiend am Rockzipfel der Mutter. Einige Buben verdrückten ein paar Tränen, als die Eltern weggingen, doch danach liessen sie sich ablenken.
Fink ist seit 30 Jahren im Beruf, seit 20 Jahren unterrichtet sie im Kindergarten Schmittenacher in Weisslingen. Es ist ein heimeliger Chindsgi, zwei Etagen mit vielen liebevoll gestalteten Spielbereichen, von Dr. Pfötlis Tierarztpraxis über einen Grillplatz bei der Puppenecke bis zur klassischen Briobahn. An diesem Montagmorgen kommen die Grossen wie üblich um zehn nach Acht. In der ersten Stunde zeichnen sie ein Ferienerlebnis, und Gabi Funk lässt eines nach dem anderen auf einem erhöhten Stuhl posieren, um ein aktuelles Foto für den Geburtstagskalender zu machen. Nachher basteln sie eine Sonne, malen ein Gesicht auf das runde gelbe Papier und schneiden die Strahlen aus.

Mit der Schere umzugehen, ist für die Grossen kein Problem. Sie kennen auch die Regeln, die im Kindergarten von Frau Fink gelten. So laufen alle in den Kreis und setzen sich auf ihren Platz, als die Kindergärtnerin die Gitarre anstimmt. Neben jedem steht ein leeres Stühlchen, das reserviert ist für das «Gottikind» oder «Göttikind», das die Grossen heute bekommen. An manchen Stühlchen ist unten noch ein Schemel angebracht. «Die Kinder müssen ihre Füsse am Boden haben, und sie werden immer kleiner», sagt Fink.
Mehr Aufmerksamkeit
In den letzten Jahren ist das Eintrittsalter sukzessive um drei Monate gesenkt worden. Fink jüngstes Kind ist vier Jahre und einen Monat alt. Die Verschiebung ist in allen Kindergärten spürbar. «Ein Viertel aller Kinder sind ein Jahr jünger, das merken wir extrem», sagt Ursina Zindel, die Präsidentin des Verbandes Kindergarten Zürich. Jüngere Kinder bräuchten mehr Aufmerksamkeit, und die Allerjüngsten seien oft noch nicht bereit, eines von zwanzig zu sein. Der Verband empfiehlt deshalb den Schulgemeinden, in den ersten paar Wochen des neuen Schuljahres Klassenassistenzen zur Unterstützung der Kindergärtnerinnen anzustellen. «Ein guter Schulstart ist wichtig, den müssen wir garantieren können», sagt Zindel.
«Ohne die Unterstützung durch Klassenassistenz und Heilpädagogin wäre es nicht möglich gewesen, den Kindern gerecht zu werden.»
Weisslingen ist in dieser Beziehung vorbildlich, jeder Kindergarten hat eine Klassenassistentin für drei Wochen und danach noch für die Turn- und Schwimmstunden sowie für den Waldtag – das ist schon aus Sicherheitsgründen nötig. Relativ schlecht schneidet Weisslingen bei der Klassengrösse ab, weil es von vier auf drei Kindergartenklassen reduziert hat. Diese zählen nun 21, 22 und 25 Kinder. Der kantonale Schnitt liegt bei 19,6 Kindern. Schulleiter Marco Amrein hält das für vertretbar, zumal in der Gemeinde wenig fremdsprachige Leute wohnen und die Kindergärtnerinnen von Heilpädagoginnen unterstützt werden. Auch in der Klasse von Gabi Fink erhalten drei Kinder spezielle Förderung durch eine Heilpädagogin.
Besser ohne Windeln
«Wir haben viele Einfamilienhäuser, sozial sind die Kinder meist gut integriert», sagt Amrein und ergänzt: «Aber die Windelproblematik haben wir auch.» Weil die Kindergärtler jünger sind, kommt es vor, dass mal eines noch Windeln trägt. Bis jetzt waren es nur Einzelfälle. «Wären es mehr, müssten wir die Eltern kommen lassen», so Amrein. Verbandspräsidentin Zindel hat dazu eine klare Meinung: «Windelwechseln oder Füdliputzen ist nicht Aufgabe der Lehrpersonen.» Auch für das Kind ist es nicht angenehm, wenn es als einziges noch Windeln trägt. Deshalb macht die Schulleitung die Eltern bereits am Infoabend im Februar auf das Problem aufmerksam in der Hoffnung, dass das Kind den Entwicklungsschritt noch schafft.

Am ersten Morgen bei Frau Fink sind Windeln kein Thema, und auch wenn ein Kind auf dem WC Hilfe braucht, fällt das nicht auf. Heute gilt die ganze Aufmerksamkeit dem Empfang der Kleinen. Während die Grossen noch Znüni essen, stehen sie schon draussen und warten an der Hand von Mami oder Papi. Um zehn Uhr ist es soweit, eines nach dem anderen wird von seinem Gotti oder Götti begrüsst und gleich in die Gepflogenheiten des Kindergartens eingeführt: Im Vorraum Schuhe ausziehen und schön hinstellen, in der Garderobe das Täschli an seinem Platz aufhängen und die Finken überstreifen. Dann gehts Hand in Hand in den Kreis.
Das Notfalltruckli
Noch sind die Eltern dabei. Gabi Fink stimmt ein Lied an, und alle singen «Grüezi mitenand». Als Einstieg lässt die Kindergärtnerin zwei Handpuppen sprechen: Hündli Bobby, das für die Grossen steht, und Füchsli Molly für die Kleinen. Um die Trennung zu erleichtern und schwierige Momente zu meistern, hat Fink in ihrem Chindsgi etwas Besonderes eingeführt: Jedes Kind hat ein Notfalltruckli mit einem Schnüfeltüchlein, einem Spielzeug, Pflaster, Hustenzeltli und weiteren Trösterli drin. Die Grossen haben ihre Truckli schon vorher komplettiert. Nun helfen sie den Kleinen, die fehlenden Sachen auf einem Postenlauf zusammenzusuchen. So lernen diese die neue Umgebung kennen.

Der nächste Schritt ist loslassen. Jedes Kind erhält von Frau Fink eine Sonnenblume, die es den Eltern übergibt und Tschüss sagt, «bis später!». Der kleine Joe streckt seinem Papa die Blume freudestrahlend hin. Doch als dieser weg ist, muss Joe ein bisschen weinen. Sein Gotti und die Klassenassistentin nehmen ihn an der Hand. Auch Maxim weint, er sitzt noch auf seinem Stühlchen, Emilia streicht ihm übers Haar. Frau Fink führt Maxim zum Kügelispiel, das hilft.
«Ohne die Unterstützung durch Klassenassistenz und Heilpädagogin wäre es nicht möglich gewesen, den Kindern gerecht zu werden», bilanziert Gabi Fink am Ende des Morgens, an dem sie ohne Unterbruch präsent war. Eine Kaffeepause liegt für die Kindergärtnerin nicht drin. Denn: «Gerade die Jüngsten werden jeden Tag in dieser grossen Klasse massiv gefordert sein.»
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