«Keine Divas, keine Egotrips»
Lenny Kravitz, der sich in «The Hunger Games» als Schauspieler versucht, im Interview mit Redaktion Tamedia über sein Leben als Musiker, Biobauer und Schauspieler.
Lenny Kravitz, Sie erhalten sicher andauernd Rollenangebote. Warum dieser Film? Ich mochte das Buch. Das war essentiell, sonst hätte ich nie Ja gesagt. Auch das Gespräch mit Regisseur Gary Ross hat mich bekräftigt, ich konnte seiner Vision folgen. Allerdings ist es für mich derzeit auch enorm wichtig, Spass zu haben. Klar, es ist Arbeit, klar, es gibt Druck, ein Budget. Aber Jobs wie diese sollten Spass machen dürfen – und das hat es. Fühlen Sie sich angreifbarer im Filmgeschäft? Als Rockstar sind Sie ja sehr etabliert. Oh ja, ich bin ja so unendlich cool! (lacht) Lassen Sie sich nicht täuschen: Unsicherheit und Verletzlichkeit, das ist alles, was dahintersteckt. Natürlich habe ich vor dem Filmbusiness Respekt. Deshalb lasse ich mir Zeit. Wenn Sie einen gewissen Namen haben, können Sie vieles damit tun: Sie können Kleider oder Parfüms verkaufen – oder in Filmen mitspielen. Mir war wichtig, dass meine Filmkarriere organisch bleibt. Ich habe mich nie aufgedrängt; ich habe klein angefangen. Kratzt das nicht an Ihrem Ego? Absolut nicht. Ich habe kein übersteigertes Ego, deshalb habe ich auch keine Mühe, Nebenrollen zu spielen und am Set der Rookie zu sein. Wenn ich als Musiker auf der Bühne stehe, weiss ich genau, wer was macht und was ich zu tun habe. Am Set ist das anders. Deshalb war ich dankbar, mit so angenehmen Kollegen wie in «The Hunger Games» arbeiten zu können. Ihre Aktionen im Film wirken sehr flüssig. Kommt Ihnen da Ihre Bühnenerfahrung zugute? Flüssig? Das ist einfach die Art, wie ich mich bewege. Aber es ist interessant, dass Sie das ansprechen: Bei meinem ersten Film «Precious» zwang mich Regisseur Lee Daniels dazu, mich anders als sonst zu bewegen. Dort habe ich einen gepeinigten Krankenpfleger gespielt – und am Anfang hat Daniels bei jeder Szene reingebrüllt: «Lenny, du läufst rum wie ein Rockstar! Hör auf damit!» Finden Sie es generell schwierig, Ihr Rockstar-Ich abzustreifen? Rockstar? Was soll das schon sein? Ich bin einfach ein Typ, der Musik macht. Ich habe keine Ahnung, was ein Rockstar sein soll. Ach, kommen Sie. Sie sind doch der Prototyp eines Rockstars. Klar, ich interessiere mich für Kunst und Musik, ich lege Wert auf Ästhetik. Aber ich habe auch eine bodenständige Seite. Die Hälfte des Jahres verbringe ich auf den Bahamas, wo ich in einem Wohnwagen lebe. Ich habe dort kaum Kleider, keine Luxusgüter. Ich habe eine Farm in Brasilien, wo ich mich nicht wie ein Rockstar, sondern wie ein Biobauer fühle. Pflanzen Sie eigene Sachen an? Ja. Was denn? Gemüse, Früchte, eigentlich fast alles. Die Geschichte von «The Hunger Games» beinhaltet auch viele ökologische Aspekte, die Natur… (unterbricht)… ich liebe die Natur. Sie ist für mich das Wichtigste. Berge, Tiere, das Meer. Man fühlt Gott, man fühlt die Schöpfung. Wir leben in diesen Beton-Dschungeln und verlieren den Bezug zur Schöpfung. Wenn ich in der Natur bin, komme ich völlig herunter, meine Kreativität erwacht. Nicht alle können damit umgehen. Gewisse Leute rasten aus, wenn sie mich auf den Bahamas besuchen kommen – kein TV, nur Kerzenlicht, da kriegen sie Panik. Mir hingegen tut diese Abgeschiedenheit gut. Ich brauche sie. Haben Sie darüber nachgedacht, weshalb Sie dieses Bedürfnis haben, regelmässig auszusteigen? Einerseits wegen meiner Arbeit, die mir manchmal über den Kopf wächst. Ich muss dann einfach den Stecker ziehen. Wenn man in der Natur ist, ist die Stille so laut, dass sie einen um den Verstand bringen kann. Das zeigt doch, wie überstimuliert wir alle sind. In New York oder hier in Los Angeles merken wir das nicht, wir sind permanent von Energien umgeben. Gibt es neben der Natur andere Themen, die Sie beschäftigen? Nun, ich neige dazu, den einen oder anderen Song über die Liebe zu schreiben, nicht? Es gibt so viel Dynamik in diesem Thema. Es wird nie ruhig. Wo stehen Sie denn zurzeit in Ihrem Leben? Ich bin glücklich darüber, dass ich mich nicht mehr immer beweisen muss. Ich lasse mich einfach treiben. Ich bin mir selbst näher denn je, was auch eine Folge von «Black and White America» ist. Dieses Album habe ich fast komplett auf den Bahamas aufgenommen, völlig abgeschieden von der Zivilisation. Ich war die meiste Zeit allein. Das war sehr gesund für mich. Wie sieht Ihr Leben dort aus? Es ist grossartig: Ich stehe auf, springe ins Meer, mache ein bisschen Sport, geh ins Studio, springe wieder ins Wasser, pflücke mein Mittagessen, gehe angeln, zurück ins Studio, nehme einen Drink am Strand bei Sonnenuntergang – so ungefähr. Um zehn geh ich ins Bett, weil man sich automatisch dem Lauf der Natur anpasst. Dann wären Sie wohl ziemlich gut als Kämpfer bei den «Hunger Games». (lacht) Oh ja, ich habe eine perfekte Ausbildung. Ich würde ganz ruhig warten und strategisch vorgehen. Wollen Sie denn nie einfach dreinschlagen? Ich bin eher der Lover. Ich bin mit 15 von zu Hause abgehauen, ich habe mich auf der Strasse durchgekämpft – ich kann mich schon wehren. Aber ich bevorzuge einen anderen Weg. Wenn ich mal anfange, kann ich nicht mehr aufhören. Es braucht viel, bis ich wütend werde und dreinschlage. Aber wenn es passiert, ist es nicht schön. Haben Sie Angst vor Kontrollverlust? Nun, ich kann meinen kreativen Output kontrollieren, worüber ich sehr froh bin. Was mit meiner Musik dann geschieht, ist eine andere Sache. Es gibt so unendlich viel Politik in diesem Geschäft. Wie sind Sie mit Ihren Co-Stars zurechtgekommen? Gab es Ego-Probleme am Set? Im Gegenteil. Ich bin ja Neuling im Filmgeschäft, und nach einer gewissen Zeit musste ich die anderen fragen: «Sagt mal, ist das bei euch immer so cool?» Woody (Harrelson), Jennifer (Lawrence), Josh (Hutcherson) und Liam (Hemsworth) sind nach den Drehtagen oft zu mir ins Zimmer gekommen, wir haben spontan Cocktailpartys geschmissen, den Laptop-DJ laufen lassen, wirklich sehr angenehm. Keine Divas, keine Spannungen, keine Egotrips. Haben Sie den anderen Tipps gegeben, wie man erfolgreicher Musiker wird? Vielleicht. Dafür hat mich Josh fast dazu gebracht, einen dieser Muscle Cars für 150'000 Dollar zu kaufen. (lacht) Wir hatten wirklich eine gute Zeit zusammen. Ihre Tochter Zoe ist auch im Filmgeschäft – reden Sie über Ihre Rollen? Alle denken das, aber wir haben andere Themen. Sie gibt mir Modetipps. Und ich ihr. Fanden Sie es damals schwierig, als Vater loszulassen? Jeder Vater kennt das. Aber ich hatte auch Vertrauen, dass sie gut aufgehoben sein würde. Sie hatte ihre Mutter, sie hatte ihre Grosseltern, die sie grossartig umsorgt haben. Sie hatte ein gutes Umfeld. Prompt ist sie eine selbstständige, erfolgreiche, hart arbeitende junge Frau geworden. Ich bin sehr stolz auf sie.