
Es gibt in den USA ein Verbrechen, das nie verjährt: Wer ohne die richtigen Stempel im Pass amerikanischen Boden betreten hat, wird diesen Makel nie wieder los. Er kann so lange und gesetzestreu in den Vereinigten Staaten leben, wie er will, er kann hart arbeiten, Steuern zahlen, eine Familie grossziehen, Kinder – amerikanische Staatsbürger – zur Welt bringen und zur Schule schicken: All das zählt nicht. Auch nach 20 oder 30 Jahren kann dieser Mensch verhaftet, eingesperrt und abgeschoben werden.
Die einzige Hoffnung für illegale Einwanderer war bisher, dass die Regierung in Washington gnädig und vernünftig genug ist, diese Gesetze nicht in ihrer ganzen Härte anzuwenden. Und die meisten Regierungen haben genau das getan. Sie haben versucht, die Schwerkriminellen unter den Illegalen herauszufiltern und zurückzuschicken. Der Rest dieser Menschen wurde weitgehend in Ruhe gelassen. Sie durften bleiben, um sich – wie es in einem alten Einwanderungsland eben Brauch ist – durchzuschlagen und eine besser Zukunft für ihre Kinder zu bauen. So ist Amerika.
Genauer: So war Amerika. Denn Donald Trump hat diese Zeit der Gnade und der Vernunft beendet. Das ist der Kern der neuen Abschieberegeln, die das Heimatschutzministerium nun veröffentlicht hat und die auf Erlassen des Präsidenten fussen: Die Gesetze werden nicht geändert, aber sie sollen künftig mit voller Härte angewandt werden.
Einige Leute, die davon betroffen sind, haben Härte verdient. Es wäre absurd, zu behaupten, dass Illegale keine Rolle in der brutalen Gang- und Drogenkriminalität spielen. Darunter leiden gerade jene Einwanderer, die sich an die Gesetze halten. Kriminelle notfalls abzuschieben, ist das Recht einer Regierung. Doch die allermeisten der geschätzt 11 bis 15 Millionen Illegalen in den USA sind keine Verbrecher. Sie sind Familienväter- und -mütter, die ihr Geld zum Beispiel damit verdienen, dass sie Trumps blattvergoldeter Golfplatz-Clique für ein paar Dollar den Rasen mähen; und die jetzt bei jeder Verkehrskontrolle Angst haben müssen, dass ihr Leben zerstört wird, weil der Präsident das Fahren ohne Führerschein zu einem Verbrechen erklärt hat, das mit Abschiebung zu bestrafen ist.
Jeder pragmatisch denkende Mensch weiss, dass Amerika nicht 11 oder 15 Millionen Einwanderer aus dem Land werfen kann; zumindest nicht ohne furchtbare humanitäre Folgen. Jeder weiss, dass man – egal wie die künftige Immigrationspolitik aussieht – für diese Menschen eine Amnestie erlassen und ihren Aufenthalt legalisieren muss. Die Republikaner wehren sich erbittert gegen diese Einsicht, doch das ändert nichts an der Realität.
Der Schrecken, den die neue Unsicherheit verbreitet, nützt niemandem, schon gar nicht Trumps Wählern. Deren wirtschaftliche und soziale Probleme haben ganz andere Gründe. Es hat nichts mit illegaler Einwanderung zu tun, dass Amerikas Stahlwerke und Kohlegruben pleite sind. Trump redet den Amerikanern ein, ihr Land werde von feindseligen Fremden besetzt und ausgeplündert. Er pumpt die zweifellos vorhandenen, aber lösbaren Probleme, die illegale Immigration in Amerika verursacht, zu einer apokalyptischen Krise auf. Das ist klassische, demagogische Sündenbock-Politik. Was hat ein arbeitsloser Kohlekumpel in West Virginia davon, wenn in Arizona ein illegal eingewanderter mexikanischer Müllmann deportiert wird? Eben. Überhaupt nichts.
Trump wehrt sich mit einem Argument: Wir tun nur das, was in den Gesetzbüchern steht. Doch auch diese Ausrede kennt man. Im Gesetz steht, was rechtens ist; was aber menschlich und anständig ist, darauf muss ein Präsident schon selbst kommen.
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Keine Gnade mehr
Donald Trump betreibt bei der Migration Sündenbock-Politik. Die Illegalen sind nicht schuld an den Wirtschaftsproblemen.