Klassische MusikerinKeine Konzerte? Dann spiele ich halt bei offenem Fenster
Eigentlich ist sie auf Konzertbühnen zu Hause. Doch momentan ist für Musikerin Cosima Bodien alles anders. Trotzdem ist sie optimistisch.

In einem kleinen Dorf in der Nähe von Hannover. Ein kleines Mädchen spielt im Keller des elterlichen Hauses. Durch die Decke dringt der Gesang von Geige, Bratsche und Cello. In einer Schublade entdeckt das Mädchen etwas Sonderbares: eine winzige Violine, kaum grösser als eine Zigarrenkiste. Die Geige in den kleinen Händen, stürmt es die Treppe hoch, gesellt sich zu den Musikanten, setzt sich das Instrument an die Schulter und beginnt … zu quietschen.
Jede Probe ist ein Privileg
Heute lebt Cosima Bodien in Zürich. Wenn sie Geige spielt, quietscht es längst nicht mehr. Sie ist Profimusikerin, mehrfach ausgezeichnet, spielt in Berufsorchestern, gibt Unterricht. Als Konzertmeisterin steht sie verschiedenen Laienorchestern vor und muss sich mit Hobbymusikerinnen auseinandersetzen, die wieder nicht geübt haben. Sie lacht. «Das stört mich gar nicht, im Gegenteil. Ich bewundere alle, die sich nach einem langen Arbeitstag treffen und freiwillig noch musizieren!» Sowieso seien heute jede Probe und jeder Unterricht, den sie gebe, ein Privileg. «Es fühlt sich kostbar, ja fast schon andächtig an, weil man nicht weiss, wann der nächste Lockdown kommt.»
Auch für sie war der Lockdown prägend. Die Musik: verstummt. Die Arbeit: weg. Also hängte die 32-jährige Geigerin einen Zettel an den Laternenpfahl vor ihrer Wohnung. «Konzert am Fenster, heute 15 Uhr», stand drauf. «Ich übe sowieso viel am offenen Fenster, da habe ich gedacht, wieso nicht ein Konzert daraus machen!» Auch bei Onlinekonzerten spielte sie mit. «Aber das ist nicht dasselbe. Konzerte leben vom Liveerlebnis. Musik ist eine Form von Kommunikation.»
Corona im Orchester
Ein Konzert ist Cosima Bodien speziell in Erinnerung geblieben. Im Sommer, als das gemeinsame Musizieren für kurze Zeit wieder erlaubt war. Der Partner einer Orchesterkollegin war kurz zuvor an Corona verstorben. «Das Konzert war ein tiefgreifendes Erlebnis, da gab es auch Tränen.»
Jetzt ist die Musik wieder leiser geworden, Konzerte wurden eingeschränkt. Trotzdem fühlt sich die Geigerin privilegiert. «Ich habe eine temporäre Anstellung an einer Musikschule und damit ein gesichertes Einkommen. Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die durch das Netz der Corona-Hilfsgelder gefallen sind.» Das findet Bodien bedenklich. «Was von unserer Generation bleiben wird, sind die kulturellen und künstlerischen Werte.» Aber die Musikerin bleibt optimistisch. «Das Feuer der klassischen Musik wird sich immer durchsetzen. Es braucht nur jemand, der das Feuer entzündet.»
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