
Kaum war er in die Tiefe gestürzt und von einem Helikopter tot geborgen, sammelten sich im Tal die Tränen. Ueli Steck hatte wieder einmal einen Trainingsgang im Gebiet des Mount Everest angetreten, und auch diesmal musste es wohl schnell gehen. Er wollte die Berge nicht nur bezwingen, das taten andere auch, er wollte sie wenn möglich im Laufschritt erledigen. Je grösser, je gefährlicher, je schneller, desto aufregender für ihn. Am liebsten ohne Seil, wenn immer möglich ohne Sauerstoffgerät. Er schlug ein hohes Tempo an, er nahm grosse Risiken auf sich. Ueli Steck war ein Alpinist der Hast.
Er sei der beste Bergsteiger der Welt gewesen, sagen viele, die sich darin auskennen. Mit seinem Tod realisierte der gelernte Zimmermann seine mögliche Prognose. «Scheitern heisst für mich, wenn ich sterbe», sagte der 40-Jährige vor kurzem im Gespräch mit Redaktion Tamedia. Das muss man wohl so verstehen, dass es für Ueli Steck keinen anderen Erfolg gab, als den nächsten Berg zu erklimmen, die noch gefährlichere Route zu nehmen, es noch länger unter noch widrigeren Umständen auszuhalten.
Pathos, zentnerschwer
Seit seinem Tod erscheinen trauernde Nachrufe, Bewunderung wird laut, Pathos breitet sich aus. Es kommt einem vor, als habe ein Wohltäter uns verlassen.
Ueli Steck sei «einer Gesellschaft mit Versicherungsmentalität» entstiegen, schreibt die «Basler Zeitung». Für den «Tages-Anzeiger» war er «eine Figur für jeden und jede» gewesen, gar «ein Forscher, der sich in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod begab und für uns Daheimgebliebene von dort berichtete». Ein Unverstandener sei von uns gegangen, liest man im «Zürcher Unterländer». «Une étoile tourmentée», ein geplagter Stern sei erloschen, titelt «24 Heures».
In diesem Tonfall geht es in anderen Zeitungen weiter. Wer sich diesem Wogen der Gefühle nicht hingeben will; wer einräumt, keine Trauer über diesen Toten zu verspüren, keine Reue zu haben und null Mitleid: Dem wird Aggressivität vorgeworfen, gar Neid unterstellt. Auf jenen, der sein Leben so intensiv geführt habe, dessen körperliche und geistige Höhenflüge «zu Erlebnissen von fast spiritueller Dimension» geführt hätten (wieder Redaktion Tamedia, wenn auch in einem anderen Artikel).
Diese Hast am Fels, das hat doch etwas Unsympathisches.
So kann man es sehen, aber auch völlig anders. Solche extremsportlichen Leistungen mögen aussergewöhnlich sein, sie wirken auch verbissen. Auch kommt einem ein solches Extremklettern nicht als Leidenschaft vor, sondern als asketische Biederkeit: Was für eine langweilige Existenz führen offenbar solche Männer, wenn sie sich in solche Gefahren begeben müssen, um sich lebendig zu spüren?
Auch diese Hast am Fels, das hat doch etwas Unsympathisches. Bergsteigen als meditativer Akt, als intensive Begegnung mit einer schroffen Natur – einverstanden. Aber eine solche Gipfelraserei nach Streberprogramm: Sie lässt keinerlei Hinweise auf eine spirituelle Dimension erkennen. Das ist keine Alternative zur Versicherungsmentalität der Gesellschaft, sondern die maximale Bestätigung ihres Leistungsprimats. Vor laufenden Kameras und unter den Anfeuerungsrufen der Sponsoren.
Der gefallene Held
Denn das gehört bei einer solchen Karriere dazu. Um den Alpinismus zum Beruf zu machen, muss man sich als Werbeträger durchsetzen, also die Konkurrenten hinter sich lassen, was wiederum bedeutet, dass man schneller klettern muss als alle anderen, weiter und höher kommen will mit noch weniger Material. Ueli Steck hat mit seinen Rekorden zu dieser Extremisierung eines schon extremen Sportes beigetragen.
Jetzt wird er als dessen Opfer beklagt. Das kann man noch verstehen, auch wenn man die Gefühle nicht teilt. Aber die Verehrung geht noch weiter: Der Gefallene wird zum Helden verklärt. Ein Mann hat sich grosse Gefahren ausgesucht, um dort seine Ängste zu überwinden. Das mag extrem sein. Heldenhaft ist es nicht.
Video – Extrembergsteiger Ueli Steck:
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Keine Trauer, null Verständnis
Warum einen das Ende des Bergsteigers Ueli Steck kaltlassen kann.