
Bilder verblassen, auch die aus Fukushima. 10 Jahre sind vergangen, seit Erdbeben und Flutwelle die Stromversorgung eines Atomkraftwerks ausser Gefecht setzten – und in drei Reaktorblöcken mit den Brennelementen auch die Gewissheit schmolz, die Atomkraft sei in Industriestaaten beherrschbar und das sogenannte Restrisiko minimal. Erstaunlich, wie wenig von dieser Erfahrung geblieben ist.
China baut fleissig Atomkraftwerke, Russland exportiert sie. Frankreich plant neue Blöcke und will die Laufzeiten der alten auf sagenhafte 50 Jahre verlängern. Amerikaner und viele Europäer liebäugeln mit kleinen, modularen Reaktoren, die sich in Serie fertigen lassen. Der Fukushima-Schock währte nicht lange – stattdessen gilt die emissionsarme Nuklearenergie nun selbst manchen Klimabewegten als Verbündete im Kampf gegen die Erderwärmung. Angesichts einer drohenden Klimakatastrophe halten sie das Risiko der Atomkraft für hinnehmbar. Was für ein Irrtum, in mehrfacher Hinsicht.
Es bräuchte Hunderte, wenn nicht Tausende neuer Reaktoren.
Ein Blick auf die Zahlen kann helfen, das Ausmass dieses Irrtums zu ermessen. Derzeit liefert Atomenergie etwas mehr als zehn Prozent der globalen Stromversorgung. Dieser Anteil müsste wachsen, sollen Atomkraftwerke fossile Energie ersetzen. Mehr noch: Es ist absehbar, dass elektrische Energie eine grosse Rolle spielen wird auf dem Weg zu einer klimaneutralen Welt – sei es über E-Autos, elektrische Wärmepumpen in Gebäuden oder über Wasserstoff für Industrie und Logistik.
Gewonnen wird auch dieser Wasserstoff aus Strom. Um also all diesen zusätzlichen Strom bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erzeugen und zugleich fossile Kraftwerke zu ersetzen, bräuchte es Hunderte, wenn nicht Tausende neuer Reaktoren.
Derweil altert der bestehende Anlagenpark. Schon jetzt liegt das globale Durchschnittsalter der Atomkraftwerke bei 31 Jahren, jedes fünfte ist über 40 Jahre alt. Damit wachsen die Risiken. Allein um jene AKW zu ersetzen, die bis 2030 endgültig an ihre Altersgrenze stossen, müssten jedes Jahr mehr als zehn neue grosse Atomkraftwerke ans Netz gehen – fast doppelt so viele wie in den vergangenen 10 Jahren. Wo in Europa derzeit gebaut wird, etwa in der Normandie oder in Finnland, entwickeln sich Projekte zu Albträumen – mit Bauzeiten und Mehrkosten, die jeden Hauptstadtflughafen in den Schatten stellen.
Denn es gibt ihn längst, den klimafreundlichen Strom, und das billiger als mit jedem Reaktor.
Das mag einen Teil der Begeisterung erklären, derer sich nun Minireaktoren erfreuen. Sie versprechen schlüsselfertige Lösungen, und ihrer geringen Grösse wegen enthalten sie weniger Radioaktivität. Aber sie sind nicht frei davon. Wären sie wirklich eine Lösung für die ganze Welt, wie die Industrie es propagiert, dann gelangte spaltbares Material in Regionen, in denen es der Rest der Welt lieber nicht sähe.
Vom Restrisiko durch den Betrieb, von Gefahren durch terroristische Angriffe und ungelösten Atommüllfragen einmal ganz abgesehen. Und es bräuchte einige Tausend dieser kleinen Reaktoren. All diesen nuklearen Optionen ist eins gemein: Im Kampf gegen die Klimakrise würden sie zu spät kommen. Sie können diesen Kampf sogar behindern, wenn sie Investitionen in eine dezentrale, erneuerbare Strominfrastruktur hinauszögern. Denn es gibt ihn längst, den klimafreundlichen Strom, und das billiger als mit jedem Reaktor: aus Sonne und Wind.
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