Klare Zeichen vom Korallenriff
Die Häufung extremer Wetterereignisse in diesem Jahr ist längst kein Zufall mehr. Gewisse Ökosysteme reagieren möglicherweise empfindlicher als erwartet.

Im Januar dieses Jahres erlebte Australien den heissesten Sommer seit langem, mit Rekordtemperaturen und Buschbränden. Im Februar stiegen die Wintertemperaturen in Alaska auf ungewöhnliche Höhen. Im März verwüstete der Zyklon Idai Teile von Moçambique, Malawi und Zimbabwe; laut der UNO-Wetterorganisation WMO womöglich eine der schlimmsten Wetterkatastrophen, die jemals die Südhalbkugel getroffen haben. Und jetzt, im April, berichten Wissenschaftler vom desaströsen Zustand des Great Barrier Reef: Vielleicht wird es sich nie ganz von den Hitzebleichen der vergangenen Jahre erholen.
Dramatische Korallenbleiche
Lange konnte man viele der Anzeichen für die Veränderungen auf der Welt als Einzelfälle abtun, als Warnsignale. Mittlerweile beginnt es aber, spürbar unangenehm zu werden, weltweit, und zum Teil irreversibel.
Das zeigt besonders deutlich die aktuelle Studie vom Great Barrier Reef, dem grössten Korallenriff der Erde. In den Jahren 2016 und 2017 gab es dort direkt nacheinander Massenbleichen, in denen viele Korallen aufgrund von zu warmem Wasser ihre Algen-Mitbewohner verloren und schwer geschädigt wurden. Nun hat ein Team um Terry Hughes von der James Cook University in Queensland untersucht, wie sich die Korallen erholen. Ihre Erkenntnisse, in der vergangenen Woche in «Nature» veröffentlicht, hat Leitautor Hughes in einem einfachen Satz zusammengefasst: «Tote Korallen bekommen keine Kinder.»

Normalerweise produzieren Korallenpolypen nach Bleichen riesige Larvenschwärme, die die toten Korallen nach und nach ersetzen. Dieser Prozess scheint vor Australien jedoch massiv und dauerhaft gestört zu sein. Um knapp 90 Prozent ging die Ansiedlungsrate junger Korallen laut den Forschern im Vergleich zu früheren Niveaus im Schnitt zurück. Offenbar gibt es nicht genug überlebende erwachsene Korallen, die neue Larven produzieren können.
«Für uns ist das alles keine Überraschung, sondern die Fortsetzung eines Trends.»
Auch die Zusammensetzung der Arten hat sich verändert. Weil die bislang dominanten Steinkorallen der Gattung Acropora besonders hart getroffen wurden, siedelten sich erstmals hauptsächlich Pocillopora an, die die Bleichen besser überstanden haben. Diese Gattung aber ist viel weniger vielfältig und vermehrt sich zudem anders. Acropora schicken Spermien und Eizellen auf die Reise, die erst im Wasser zueinanderfinden und weite Strecken zurücklegen können, bis sie sich niederlassen. Pocillopora dagegen produzieren meist fertige Larven, die sich in der Nähe ansiedeln. Auch dieser Unterschied dürfte das einzigartige Riff stark verändern.
Erst wenn die jetzigen jungen Acropora-Korallen geschlechtsreif sind, hätte das Gebiet eine Chance, sich wirklich zu erholen. Das aber dauert viele Jahre. Es ist nahezu sicher, dass in dieser Zeit weitere Bleichen auftreten. Schliesslich hat sich der mittlere Abstand zwischen solchen Episoden in den letzten Jahrzehnten von 25 Jahren auf unter 6 Jahre verringert und wird weiter schrumpfen. All das lässt befürchten, dass das Great Barrier Reef niemals wieder zu seiner alten Form zurückfinden wird.
«Für uns ist das alles keine Überraschung, es wird nur der langfristige Trend fortgesetzt», sagt der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar in Kiel über all die Schreckensmeldungen der vergangenen Monate. Aus wissenschaftlicher Sicht müsse man sich nicht wundern, wenn sich die spürbaren und dauerhaften Folgen des Klimawandels zu häufen begännen, so Latif.
Es fehlt nicht mehr viel
Schliesslich sei das 1,5-Grad-Ziel nicht einfach so ins Paris-Abkommen aufgenommen worden: «Das ist der Punkt, an dem die Wahrscheinlichkeit sprunghaft zunimmt, dass unumkehrbare Ereignisse einsetzen.» Von dieser Temperatur seien wir nicht mehr sehr weit entfernt. Um rund ein Grad hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits erwärmt. Im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC über das 1,5-Grad-Ziel ist diese Erwärmung der Bereich, in dem die Risiken für bedrohte Ökosysteme und extreme Wetterereignisse bereits steigen.
Jenseits der 1,5 Grad werden dann auch weltweite, schwere Schäden und der Kollaps grosser Eisschilde wahrscheinlicher. Diese Temperatur wird laut den Klimamodellen wohl so oder so um 2040 erreicht.
Wenn die Emissionen sofort radikal reduziert würden, könnte die Erwärmung danach stagnieren. Andernfalls geht es weiter nach oben. Es liegt letztlich in der Hand der Klimapolitik. Bislang steigen die Emissionen trotz aller Versprechungen weiter.
«Korallenriffe oder die Eisdecke von Grönland könnten noch empfindlicher sein, als wir dachten.»
Johan Rockström ist Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und weltweit bekannt für seine Arbeiten über die natürlichen Stabilitätsgrenzen des Planeten. Auch er sagt: «Die 1,5 Grad sind nicht nur eine Zahl, das ist eine Grenze.»
Was passiert, wenn man sich so einer Grenze annähert, kann man heute beobachten; auch für Rockström ist das beunruhigend. Anders als Latif sieht er die Realität eher am Rande der Prognosen. «In den vergangenen 15 Jahren waren die Veränderungen etwas schneller als vorhergesagt. Korallenriffe oder die Eisdecke von Grönland könnten noch empfindlicher sein, als wir dachten», sagt er. Zwar haben Forscher vor allen diesen Risiken lange gewarnt. Aber vielleicht werde die Schwelle, von der an sich der Wandel beschleunigt, noch früher als angenommen erreicht.
Bäume in der Antarktis
Inzwischen ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre so hoch wie zuletzt vor rund drei Millionen Jahren, im Pliozän. Wie anders jedoch damals die Erde und das Klima aussahen, haben Forscher in der vergangenen Woche auf einer Tagung der Royal Meteorological Society in London berichtet: Das Klima war im Durchschnitt 2 bis 4 Grad wärmer als heute, die Temperatur war 14 Grad höher in der Arktis, der Meeresspiegel 15 Meter, Grönland war vermutlich eisfrei, und wie Fossilien zeigen, gab es Bäume in der Antarktis.
Ist das die Zukunft des Planeten? Vielleicht. «Es ist eine Frage der Zeitskala», sagt Alan Haywood, Paläoklimatologe von der University of Leeds und einer der Redner in London. «Manche Komponenten des Erdsystems, wie die Oberflächentemperatur, reagieren sehr schnell auf CO2. Andere antworten sehr langsam, etwa Eisschilde, Vegetation oder der tiefe Ozean.»
Aber auch diese beginnen jetzt, zu reagieren: Die arktische Eisdecke geht rasant zurück, Grönlands Gletscher schrumpfen, selbst die Antarktis verändert sich. Diese langfristigen Prozesse verstärken die Klimaveränderung, etwa weil eisfreie Regionen viel mehr Wärme absorbieren. Wenn die CO2-Konzentration lange genug so hoch bleibt wie heute, kommt am Ende das warme Pliozän-Klima heraus. Das heisst: Selbst wenn das Wunder gelingt, die Erwärmung in diesem Jahrhundert unter 1,5 Grad zu halten, könnte es sein, dass die Erde sich danach weiter erwärmt. Um das zu verhindern, müsste man der Atmosphäre womöglich viel CO2 entziehen.
Der Übergang in die nächste Klimaetappe hat schon begonnen. Das ist kaum noch zu übersehen, auch am Great Barrier Reef. «Es ist nichts, was vielleicht in Zukunft passieren könnte. Es passiert genau jetzt», sagt Korallenforscher Terry Hughes.
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