Kofi Annan: «Die Bürger sind wütend geworden»
Der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan über seinen Kampf gegen die Ausbeutung Afrikas und über den Fall Glencore im Kongo.

Warum ist Afrika so arm?
Afrika ist nicht arm, es ist ein reicher Kontinent mit sehr vielen armen Menschen. Afrika verliert sehr viel Geld durch illegale Finanzströme und Steuerflucht. Jedes Jahr fliessen rund 160 Milliarden Dollar nach Afrika, etwa durch Überweisungen von Afrikanern, die nicht auf dem Kontinent leben, oder in Form von Hilfsgeldern. Zugleich verlieren wir mehr als 200 Milliarden in Finanzströmen nach aussen. Wir sind also ein Nettozahler an den Rest der Welt.
In einem Ihrer jährlichen Fortschrittsberichte zu Afrika haben Sie dargelegt, dass der Demokratischen Republik Kongo in den Jahren 2010 bis 2012 rund 1,36 Milliarden Dollar verloren gegangen seien: Schürfrechte für Kupfer und Kobalt, die weit unter Wert an Firmen auf den Britischen Jungferninseln verkauft worden seien.
Das Problem beginnt schon mit den Verträgen, die Regierungen mit den Konzernen schliessen. Manche Regierungen sind so versessen darauf, internationale Konzerne ins Land zu holen, dass sie diese mit völlig inakzeptablen Zugeständnissen locken. Und die Firmen nutzen das aus. Sie sagen zum Beispiel: Wir müssen erst unsere Investitionen wieder hereinbekommen, ehe wir vom Gewinn etwas abgeben. Manchmal müssen die Firmen laut Vertrag über viele Jahre überhaupt keine Steuern zahlen – das ist ein vollkommen falsches Vorgehen.
Im Kongo sehen wir, dass die einheimische Elite mit ausländischen Firmen und Investoren zusammenarbeitet – offenbar nicht zum Wohle des Volkes. Welche Seite trägt die Verantwortung dafür?
Zum Tango gehören immer zwei. Die afrikanischen Beamten, die die Reichtümer ihres Landes fast zum Schleuderpreis aus der Hand geben, verraten ihr Volk und dessen Vertrauen – in der Erwartung, dass sie selbst etwas dafür bekommen. Das hat sehr konkrete Auswirkungen. Es nimmt den Menschen die Lebensgrundlagen und die Chance auf wirtschaftliche Entwicklung. Auch die internationalen Konzerne und Investoren stehen in der Pflicht. Man braucht doch keine spezielle Gesetzgebung oder eine starke Regierung, um zu tun, was rechtmässig, professionell und moralisch richtig ist. Manchmal gehen die Firmen so weit zu sagen: Wenn wir das Schmiergeld nicht zahlen, dann zahlt es unser Konkurrent und nimmt uns das Geschäft weg. Das akzeptiere ich nicht.

Was lässt sich dagegen tun?
Das stärkste Gegenmittel ist Transparenz. Wir müssen sowohl die Unternehmen als auch die Regierungen dazu verpflichten, die Verträge publik zu machen, offenzulegen, welche Gewinne die Firmen machen und wie viel sie an Steuern zahlen. Zudem muss die Öffentlichkeit erfahren, wofür die Regierung die Einnahmen verwendet.
Briefkastenfirmen auf Karibikinseln oder andernorts, die bei diesen Geschäften häufig genutzt werden, dienen eher der Verschleierung.
Manche Leute werden Ihnen sagen, Steueroasen und Briefkastenfirmen seien nichts grundsätzlich Falsches, es gebe durchaus legitime Zwecke dafür. Aber wir sollten nicht vergessen: Diese Instrumente wurden auch schon von Kriminellen benutzt, um üble Dinge zu tun. Wir brauchen ein internationales Regelwerk, um offenzulegen, wer hinter diesen Briefkastenfirmen steckt, wer der wirtschaftlich Berechtigte ist.
Vorstösse für mehr Transparenz hat es schon viele gegeben, die Ergebnisse waren meistens bescheiden.
Das stimmt – aber es hat mich doch ermutigt, zu sehen, was sich in Europa getan hat, nachdem bekannt wurde, auf welche Weise Firmen wie Apple, Starbucks und andere nur minimale Steuern zahlen. Die Bürger sind wütend geworden, und die Politiker haben erkannt, dass etwas getan werden muss.
Video: Recherche-Chef zu den Paradise Papers
Bis heute ist Steuervermeidung in vielen Fällen formell legal. Die Unternehmen nutzen nur die Schlupflöcher, die ihnen die Politik lässt.
Das stimmt – aber die Firmen müssen verstehen: Wenn sie so viel aus einem Land herausholen und dafür nichts geben, in Form von Steuern oder nachhaltigen Investitionen, dann untergraben sie ihre eigene Geschäftsgrundlage. Sie tragen dazu bei, scheiternde Staaten zu schaffen ...
... was das Abziehen von Vermögen umso einfacher macht.
Ja, aber das können Sie nur eine Zeit lang. Irgendwann bricht entweder das Land zusammen, oder das System wird so chaotisch, dass Sie, wenn Sie eine ernsthafte, aufrichtige Firma sind, dort nicht länger operieren wollen. Dann konkurrieren Sie mit den Abenteurern, die sich um ihren Ruf keine Gedanken machen. Und natürlich zahlt auch das Land einen Preis. Die Wirtschaftsführer müssen mit gutem Beispiel vorangehen.
«Wenn niemand Schmiergelder zahlen würde, gäbe es auch keine Korruption.»
Hören diese Wirtschaftsführer Ihnen zu? In Ihrem Bericht von 2013 nannten Sie unter anderem Glencore als einen Akteur, der von der Schwäche des kongolesischen Staates profitiert. Haben die Chefs von Glencore Ihnen jemals geantwortet?
Ja, sie haben unseren Bericht gelesen und waren nicht besonders glücklich darüber. Sie haben angerufen und indirekt mit Klage gedroht. Aber ich glaube, das war eher Einschüchterungstaktik: Wenn sie wirklich klagen würden, dann müssten sie selbst jede Menge Fragen beantworten. Sie müssten beweisen, dass all das, was wir und andere veröffentlicht haben, unwahr ist. Zu einem anderen Zeitpunkt habe ich – nicht wirklich erfolgreich – versucht, die grossen Bergbaufirmen an einen Tisch zu bringen. Die Idee war, dass sie einen Verhaltenskodex für ihre Operationen in Entwicklungsländern unterzeichnen. Trotz mehrerer Treffen war ich aber nicht erfolgreich.
Woran sind Sie gescheitert?
Eine solche Gruppe zusammenzubringen, in der jeder seine eigenen unternehmerischen Interessen hat, ist nicht einfach. Ich habe ja auch keine Autorität, den Firmen etwas vorzuschreiben. Also erzählte ich ihnen, wie ich beim Thema Aids vorgegangen war: Ich hatte die Vorstände der sieben grössten Pharmafirmen zu einem Treffen in Amsterdam eingeladen. Dort bat ich sie, den Preis für Medikamente zu senken, sodass die Armen sie sich leisten können. Anfangs waren die Gespräche schwierig – aber am Ende sind die Preise deutlich gesunken, und Millionen nehmen heute diese Medikamente. Wenn der Wille da ist, können wir durchaus etwas erreichen.
Video – Glencores Wunderwaffe
Sie haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf G-8 und G-20 verwiesen, als einflussreiche Gruppen. In diesem Sommer, beim G-20-Gipfel in Hamburg, spielte das Thema aber keine grosse Rolle. Mangelt es der internationalen Gemeinschaft schlicht am Willen?
Viele der weltweit agierenden grossen Firmen kommen aus G-8- und G-20-Ländern. Deshalb haben diese Länder eine besondere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Firmen in armen Ländern nicht ausbeuterisch handeln, sondern verantwortungsvoll. Das geht auch ohne globale Abkommen; sie können auf nationaler Ebene anfangen. Wenn niemand Schmiergelder zahlen würde, gäbe es auch keine Korruption.
Das Geld geht ja in der Regel durch viele Hände ...
Ja, und deshalb müssen auch die Banken die Frage stellen: «Woher stammt das Geld?» Mit moderner Technik sollten wir in der Lage sein, all diese Gelder nachzuverfolgen. Und wenn etwas aufgespürt wird, sollte es in das Land zurückgeschickt werden können, aus dem es ursprünglich kommt.
Ein Argument, das man in diesem Zusammenhang oft hört, ist der Wettbewerb. Firmen suchen sich als Standort das Land mit der niedrigsten Steuerlast – und die Regierungen sagen: Wenn wir die Steuern erhöhen, gehen die Firmen anderswohin. Ist die Sorge der Politik berechtigt?
Nehmen wir das Beispiel Europa: Da haben Sie 28 Mitgliedsländer. Und die Firmen können eines gegen das andere ausspielen. Als Brüssel sich der Problematik etwa von Standortverlagerungen nach Luxemburg oder Irland bewusst wurde und anfing, dagegen vorzugehen, da haben einige dieser internationalen Firmen von sich aus beschlossen, mehr zu zahlen. Wenn man Transparenz schafft, wacht plötzlich jeder auf: die Firmen wie auch die Länder. Und oft steht dahinter Druck aus dem Volk; die Leute sagen: «Das ist nicht fair, wir zahlen unseren Beitrag, und diese Firmen machen Millionen oder Milliarden an Profit – wie kann es sein, dass die so wenig oder überhaupt nichts zahlen?» Ich denke, das Wettbewerbsargument ist übertrieben.
Sie waren zehn Jahre lang Generalsekretär der Vereinten Nationen. Warum lösen die UNO diese Probleme nicht? Es gibt die Möglichkeit, Sanktionen gegen Terrorunterstützer zu verhängen, gegen Lieferanten von Massenvernichtungswaffen – weshalb also nicht auch gegen die, die Steuern hinterziehen, und die, die Korruption fördern?
Zwangsmassnahmen kann nur der UNO-Sicherheitsrat beschliessen, und wir sehen ja auch bei anderen Themen, wie Länder sich der Durchsetzung solcher Massnahmen entziehen. Damit die Vereinten Nationen eingreifen können, müssen sich die Mitgliedsländer einig sein. Und nicht nur das, sie müssen die beschlossenen Massnahmen daheim auch umsetzen. Ich halte das nicht für einen gangbaren Weg.
Welche Wege bleiben dann?
Die einzelnen Länder müssen sich ihrer Verantwortung stellen und dafür sorgen, dass Firmen zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt auch interessante Initiativen auf internationaler Ebene: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat beispielsweise begonnen, afrikanische Steuer- und Zollbeamte zu schulen – das Programm heisst «Steuerprüfer ohne Grenzen», nach dem Vorbild der Ärzte ohne Grenzen. Ich hoffe, dass die so viel Druck aufbauen werden wie möglich.
«Wenn etwas Unrecht ist, dann ist es für alle Unrecht.»
Sie haben sich in vielen Kriegen und Krisen dieser Welt einen Namen als Vermittler gemacht. Sind Kontroversen, bei denen es ums grosse Geld geht, schwieriger zu lösen als Bürgerkriege?
Wenn es um Krieg und Frieden geht, haben Sie in der Regel eine überschaubare Zahl von Konfliktparteien. Dann können Sie die anderen Staaten oder Akteure, die selbst nicht direkt betroffen sind, zusammenbringen, damit sie sich gemeinsam für ein Ende der Kämpfe einsetzen. Bei den Themen, über die wir hier sprechen, sind dagegen so viele Einzelinteressen im Spiel, dass Sie keine echte Zugkraft aufbringen werden.
Ihr Sohn Kojo Annan war in eine Korruptionsaffäre um das «Öl für Lebensmittel»-Programm für den Irak verwickelt. Die Panama Papers im vergangenen Jahr haben zudem gezeigt, dass er Anteilseigner und Direktor mehrerer Firmen auf den Britischen Jungferninseln und auf Samoa war. Wie stehen Sie dazu?
Wenn etwas Unrecht ist, dann ist es für alle Unrecht. Man spricht Verwandte oder Söhne nicht von ihrer Verantwortung frei. Er hat eine Briefkastenfirma benutzt, um ein Apartment zu kaufen – ich sehe nicht, warum man einen solchen Weg gehen sollte. So etwas würde ich weder empfehlen noch billigen.
Ist es denkbar, dass Afrika eines Tages keine Entwicklungshilfe mehr braucht – weil die Erlöse aus dem Rohstoffreichtum in die Entwicklung des Kontinents fliessen?
Ich freue mich auf diesen Tag. Und ich denke, die meisten Afrikaner wollen sich lieber durch Handel aus der Armut befreien, als von Almosen zu leben. Afrika hat grosses Potenzial – und eine junge Bevölkerung. Wissenschaftler sprechen von einer demografischen Dividende. Die kann aber zum demografischen Fluch werden, wenn wir die Themen, über die wir hier sprechen, nicht sehr ernst nehmen. Wir müssen wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern schaffen; Bedingungen, unter denen junge Menschen in Würde leben können, statt dorthin aufzubrechen, wo das Gras grüner ist.
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