Krankenkasse verweigerte Krebsmedikament für Kind
Bei Kinderkrebs müssen Ärzte oft Medikamente einsetzen, die dafür nicht zugelassen sind. Im Tessin zahlte eine Kasse dafür erst auf öffentlichen Druck.

Diesen Donnerstag hat der Kinderonkologe Pierluigi Brazzola die Zusage erhalten, dass die Kasse die 3900 Franken für das Medikament Ixoten übernimmt. Brazzola setzte die Kapseln bei einem 12-jährigen Knaben ein, um einen Rückfall nach erfolgter Tumorbehandlung zu verhindern. Der Kostengutsprache ging ein dreimonatiger Briefwechsel voraus. Schliesslich ging Brazzola mit dem Fall an die Medien. Der Bericht der Tageszeitung «La Regione» über die Weigerung der Kasse löste diese Woche im Tessin grosse Empörung aus. Innerhalb weniger Tage kamen durch Spenden 30'000 Franken zusammen, weil die Eltern sich nicht in der Lage sahen, das Medikament für ihren Sohn zu bezahlen.
Den Namen der Kasse nennt Brazzola nicht, weil es sich um ein grundsätzliches Problem handle. In der Kinderonkologie werden in fast 80 Prozent der Fälle Medikamente eingesetzt, die nicht für die zu behandelnden Tumore der Kinder zugelassen sind. Denn es gibt kaum spezifische Krebsmedikamente für Kinder. Bei der Anwendung von Medikamenten ausserhalb des zugelassenen Bereichs (Off-Label-Use) müssen die Ärzte bei der Kasse immer ein Gesuch stellen.
Seltener Weichteilkrebs
Beim 12-jährigen Knaben, bei dem ein seltener Weichteilkrebs (Sarkom) diagnostiziert worden war, wendete Brazzola zur sogenannten Erhaltungstherapie Ixoten in Kombination mit zwei anderen Medikamenten an. Ixoten der Firma Baxter ist in Deutschland zugelassen zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms, einer Krebserkrankung bei Erwachsenen, bei der sich Lymphozyten unkontrolliert vermehren. Das Präparat wird jedoch europaweit auch zur Nachbehandlung von Kindern eingesetzt. Zahlreiche Studien belegten, dass mit Ixoten ein erneutes Auftreten des Tumors verhindert werden könne, sagt Brazzola. Dennoch ist Ixoten in keinem Land für diese Anwendung registriert. Der Grund dafür ist, dass die Studien durch Expertengruppen und nicht durch die Pharmaindustrie selbst veranlasst worden sind.
Klinische Studien mit Krebsmedikamenten für Kinder würden im Gegensatz zur Erwachsenenmedizin fast ausschliesslich durch Universitätskliniken durchgeführt, sagt Peter Lack, Geschäftsführer des Dachverbandes Kinderkrebs Schweiz. Für die Pharmaindustrie bestehe wegen der geringen Fallzahlen in der Regel zu wenig Interesse an solchen Studien. Bei Kindertumoren handelt es sich faktisch um seltene Krankheiten. In der Schweiz erkranken pro Jahr rund 300 Kinder und Jugendliche neu an Krebs, im Vergleich zu den Erwachsenen eine geringe Zahl. Zudem können häufig nicht die gleichen Medikamente eingesetzt werden wie in der Erwachsenenonkologie.
Politikerin wird aktiv
Die Tessiner Nationalrätin Marina Carobbio (SP) ist der Meinung, dass Kinderkrebs den seltenen Krankheiten gleichgestellt werden sollte. Dadurch könnte die Kostenübernahme der Medikamente durch die Kasse klarer geregelt werden. Carobbio ist im Vorstand von Kinderkrebs Schweiz und wird das Anliegen dort und im August in der nationalrätlichen Gesundheitskommission einbringen. Bei seltenen Krankheiten müssen die Kassen innerhalb von zwei Wochen über ein Gesuch zur Kostenübernahme entscheiden.
Nichts würde sich jedoch daran ändern, dass die Ärzte für die meisten Medikamente weiterhin ein Gesuch stellen müssen. Doch in 99 Prozent der Fälle bezahle die Grundversicherung diese Krebsmedikamente für Kinder anstandslos, auch wenn sie nicht auf der Liste der kassenpflichtigen Medikamente stünden, sagt Brazzola. Kinderkrebs Schweiz stellt allerdings fest, dass in den letzten Jahren die Kostenübernahme durch die Kassen häufiger infrage gestellt werde und Eltern für Krebsmedikamente bezahlen müssten. Bei der Krebsbehandlung von Erwachsenen ist die zögerliche Kostenübernahme der Kassen bei nicht kassenpflichtigen Präparaten schon lange ein Thema.
Die teure stationäre Behandlung im Spital müsste die Krankenkasse bezahlen.
Bei Ixoten kommt erschwerend dazu, dass es in der Schweiz nicht im Handel und bei der Arzneimittelbehörde Swissmedic nicht registriert ist. Pierluigi Brazzola musste es aus Deutschland importieren. Die Krankenkasse stellte sich auf den Standpunkt, dass sie deshalb das Medikament nicht bezahlen müsse. Zudem lägen keine Studien vor, die die Wirksamkeit für die vorgesehene Anwendung belegten. Brazzola erwog die Finanzierung über eine Stiftung, die entsprechenden Kontakte hatte er bereits aufgenommen. Der öffentliche Druck scheint nun aber das Umdenken bewirkt zu haben. Die Kasse teilte Brazzola mit, dass sie die Kosten aus der Zusatzversicherung des Knaben bezahle.
Spitalaufenthalt wäre teurer
Paradoxerweise hätte das Spital die Medikamentenkosten übernehmen müssen, wäre der Knabe stationär im Spital behandelt worden. Da die Kapseln aber alle drei Wochen während jeweils zehn Tagen eingenommen werden müssen und dies acht Monate lang, war dies keine realistische Option. Sicher ist aber, dass eine stationäre Behandlung die Grundversicherung um ein Vielfaches teurer gekommen wäre als 3900 Franken.
Brazzola hofft, dass der Fall die Politik in Bern bewegt, selbst wenn er für alle Beteiligten ein gutes Ende hatte. «Dem Knaben geht es gut, und wir drücken die Daumen, dass auch die Erhaltungstherapie wirkt.» Die Spenden gehen nun an gemeinnützige Organisationen zur Unterstützung von Krebskranken.
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