Österreichs Kanzler bei PutinNehammers Reise stösst auf Kritik – auch in der Ukraine
Von «Selbstüberschätzung» bis zu «das gehört sich nicht»: Das geplante Treffen von Karl Nehammer mit dem russischen Präsidenten in Moskau sorgt für Misstöne.

Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer wird am Montag mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau zusammentreffen. Er ist damit der erste westliche Regierungschef, der seit Kriegsbeginn zum russischen Präsidenten nach Moskau reist. Bereits im Vorfeld wird Kritik an dem Treffen geäussert.
Laut der österreichischen Zeitung «Die Presse» soll das Gespräch um 15 Uhr Moskauer Zeit (14 Uhr MESZ) stattfinden. Danach werde Nehammer in der österreichischen Botschaft in Moskau ein Statement abgeben. Eine von der russischen Seite gewünschte gemeinsame Pressekonferenz habe Nehammer abgelehnt.
Das Treffen soll nicht im Kreml, wie sonst bei Staatsbesuchen üblich, sondern in Putins Residenz in Moskau stattfinden. Dies meldete das ORF im Ö1-Morgenjournal. Video-Aufnahmen seien untersagt, nur ein Foto dürfe gemacht werden.
Die Reise stösst auf Kritik – auch in der Ukraine. «Was für eine Selbstüberschätzung des österreichischen Kanzlers, dass er ernsthaft glaubt, eine Reise zum jetzigen Zeitpunkt hätte irgendeinen Sinn, nachdem Putin gezeigt hat, was für ein brutaler Kriegsverbrecher er ist», zitierte die deutsche «Bild»-Zeitung anonym einen ukrainischen Diplomaten.
Auch der Vizebürgermeister von Mariupol hat sich ablehnend geäussert. «Das gehört sich nicht zur heutigen Zeit. Die Kriegsverbrechen, die Russland gerade auf dem ukrainischen Boden begeht, finden weiterhin statt. (…) Ich verstehe nicht, wie in dieser Zeit ein Gespräch mit Putin geführt werden kann, wie mit ihm Geschäfte geführt werden können», sagte Serhi Orlow.
Auch innerhalb Österreichs mehren sich kritische Stimmen. In einer österreichischen Nachrichtensendung gibt der Politologe Gerhard Mangott die Problematik von russischer Propaganda zu bedenken. «Es ist schwer nachvollziehbar, was sich der Kanzler von dieser Reise erwartet. Er hat nicht die Macht über die Bilder.» So könne man davon ausgehen, dass das russische Fernsehen die Bilder des Gesprächs für Propaganda-Zwecke nutzen werde. Der Kanzler werde Putin mit seiner Reise Bilder verschaffen, die sagen: «Ich bin nicht isoliert, es gibt Länder im Westen, die mit uns kooperieren.»
Österreichs Aussenminister verteidigt Kanzler-Besuch
Österreichs Aussenminister Alexander Schallenberg hat das geplante Treffen von Kanzler Karl Nehammer mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin gegen Kritik verteidigt. «Es geht einfach darum, dass wir (...) jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden», sagte er am Montag am Rande eines EU-Aussenministertreffens im Luxemburg. Der Bundeskanzler gehe mit sehr klaren Botschaften humanitärer und politischer Art nach Moskau.
«Jede Stimme, die dem Präsidenten Putin verdeutlicht, wie die Realität sich ausserhalb der Mauern des Kremls wirklich darstellt, ist keine verlorene Stimme», sagte er.
Zu Befürchtungen, dass Putin Bilder vom Treffen für seine Zwecke nutzen könnte, sagte Schallenberg, der Besuch sei so besprochen, dass es ausschliesslich ein Vieraugengespräch ohne Medien gebe. «Das heisst, aus unserer Warte ist alles getan, damit es eben nicht missbraucht wird», sagte er. Nehammer wollte sich im Anschluss an sein Treffen mit Putin vor Journalisten in Moskau äussern.
Schallenberg betonte auch, dass es zu den Reiseplanungen Konsultationen mit EU-Partnern gab. «Es haben zahlreiche Gespräche im Vorfeld stattgefunden. Wir haben nicht alle 26 informieren können, aber mit den wesentlichen Partnern habe ich gesprochen, hat der Bundeskanzler gesprochen», erklärte er. Österreich stehe ganz klar aufseiten des Völkerrechts und der Europäischen Union.
Deutschland begrüsst Reise
Die deutsche Bundesregierung begrüsst die Initiative Nehammers für ein direktes Gespräch mit Putin. Nehammer habe Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag telefonisch über seine Moskau-Reise informiert, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin. Die Bundesregierung befürworte «jegliche diplomatischen Bemühungen», die das Ziel hätten, ein Ende der Kampfhandlungen zu erreichen und Voraussetzungen für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu schaffen.
Hoffmann verwies darauf, dass Nehammer zuvor in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auch mit Präsident Wolodimir Selenski gesprochen habe. Insofern stehe auch der Moskau-Besuch im Rahmen der diplomatischer Bemühungen, ein möglichst rasches Ende der Kampfhandlungen und einen Waffenstillstand zu erreichen. Ziel all dieser Bemühungen sei es, Putin dazu zu bewegen, sofort die Kampfhandlungen einzustellen, betonte die Vize-Regierungssprecherin.
Auf die Frage nach einer Reise von Bundeskanzler Scholz nach Moskau sagte Hoffmann: «In dieser Richtung sehe ich im Moment keinerlei Pläne».
Ein Kanzler, drei Ziele
Als Ziele seiner Reise nannte Bundeskanzler Nehammer auf Twitter humanitäre Korridore, einen Waffenstillstand und die vollständige Aufklärung von Kriegsverbrechen. Er wolle alles dafür tun, «damit Schritte Richtung Frieden unternommen werden». Die ukrainische Regierung erwarte für die kommenden Tage eine «grosse Schlacht» im Osten des Landes, hiess es von Sprecher Kosak. Hierfür müssten Absprachen über Korridore getroffen werden.
Ausserdem sagte Nehammer vor Journalisten in Wien, dass er den Dialog zwischen der Ukraine und Russland fördern wolle. Er sieht sich nach eigenen Angaben als «Brückenbauer». Der Kanzler betonte, dass er Putin gegenüber «nicht moralisch neutral» auftreten werde. «Reden heisst nicht, seine Position aufzugeben», sagte Nehammer. «Ganz im Gegenteil, ich sage sie ihm.» Er werde die «Kriegsverbrechen» in der Ukraine ansprechen.
Die Initiative zu dem Treffen mit Putin sei von ihm ausgegangen, sagte Nehammer. Der Kanzler twitterte, dass er verschiedene Spitzenpolitiker vorab über seine Reise informiert habe: den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den EU-Ratspräsidenten Charles Michel, den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Nehammer hatte Selenski am Samstag in Kiew besucht.
«Alles, was getan werden kann, um den Menschen in der Ukraine zu helfen, den Krieg zu stoppen, soll getan werden», meinte Nehammer. Er räumte jedoch ein, dass die Reise nach Moskau «eine Risikomission» sei, von der keine grossen Wunder zu erwarten seien. Es gehe um humanitäre Ziele, verlautete dazu aus dem Kanzleramt. Die russische Seite lasse zum Beispiel in den Kampfgebieten keine humanitäre Hilfe etwa durch das Rote Kreuz zu. Nehammer hat seit dem Beginn der russischen Invasion mehrfach betont, dass Österreich weiterhin militärisch neutral sei, aber politisch auf der Seite der Ukraine stehe. Österreich ist EU-, aber kein Nato-Mitglied.
Während Nehammer der erste Regierungschef ist, der seit Kriegsbeginn zu Putin reist, haben schon mehrere westliche Staatschefs auf die Entfernung Gespräche mit dem russischen Präsidenten geführt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte, ebenso wie der französische Präsident Emmanuel Macron, in den vergangenen Wochen mehrfach mit Putin telefoniert – allerdings ohne den Kriegsverlauf sichtbar zu beeinflussen.
SDA/AFP/sep
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