«Kritik komplett unfundiert»: Ärzte streiten über Luftverschmutzung
Über 100 Lungenärzte kritisieren in Deutschland die Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub als zu streng. Das sorgt in der Schweiz für Verunsicherung.

In Deutschland tobt eine Debatte zu den Grenzwerten von Luftschadstoffen. Die Vorschriften für Feinstaub und Stickoxide, die insbesondere von Dieselfahrzeugen ausgestossen werden, seien viel zu restriktiv. Das steht in einer gemeinsamen Stellungnahme, die über 100 Lungenärzte unterschrieben haben.
Treibende Kraft ist der Pneumologe Dieter Köhler, der derzeit maximale mediale Aufmerksamkeit erhält. Seine Kritik: Die Schadstoffgrenzwerte beruhten auf einer mangelhaften wissenschaftlichen Basis, und Daten würden einseitig und fehlerhaft interpretiert. In den Zeitungsartikeln und am Fernsehen spricht der 70-jährige ehemalige Chefarzt von «völlig unsinnigen», ideologischen Grenzwerten. Gleichzeitig behauptet er, die Diskussion versachlichen zu wollen.
«Kritik komplett unfundiert»
Köhler hausiert schon länger mit seiner Kritik an den Schadstoffgrenzwerten. Im Sommer 2017 monierte er beispielsweise in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» die Qualität von Luftverschmutzungsstudien. Seit seinem Auftritt am Mittwoch im Ersten Deutschen Fernsehen schwappt die von ihm angezettelte Diskussion auch in die Schweiz, wo die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub noch tiefer sind als in Deutschland.
Das spürt auch Nino Künzli. Er ist Stellvertretender Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) und langjähriger Forscher zu Luftschadstoffen: «Aus meinem Umfeld habe ich bereits viele verunsicherte Nachfragen erhalten.» Der Epidemiologe ist zutiefst befremdet und bezeichnet die Kritik des deutschen Lungenarztes als komplett unfundiert.
«Dieter Köhler ist zu epidemiologischen Forschungsmethoden so gut ausgebildet wie ich in Quantenphysik – nämlich gar nicht», sagt Nino Künzli. Der Pneumologe und seine Mitautoren hätten im Bereich Luftverschmutzung und Gesundheit keine einzige Fachpublikation vorzuweisen. Und auch unter den unterzeichnenden Lungenärzten seien praktisch nur Kliniker, welche die eingeschränkte Sicht des Praxisalltags hätten.
Zu hohe Todesraten?
Dieter Köhler scheint dies nicht zu kümmern. Er behauptet selbstbewusst: «Ich gehöre zu den wenigen Experten in diesem Bereich, denn ich habe mit diesen Fragen vor circa 35 Jahren habilitiert.» Künzli kann sich nur wundern: «Damals war der Forschungsbereich praktisch inexistent.» Heute beschäftigen sich jedoch zahllose Forscher weltweit mit dem Thema.
Konkret kritisiert Köhler beispielsweise die hohen Todesraten durch Feinstaub und Stickoxide mit über tausend Todesfällen pro Jahr und Million Einwohner in Deutschland. Diese Zahlen seien ähnlich hoch wie bei den Todesfällen durch Lungenkrebs und Raucherlunge wegen Zigarettenkonsums. Das sei unplausibel wegen der millionenfach höheren Schadstoffbelastung beim Rauchen.
Dieter Köhler behauptet kühn, dass Luftverschmutzungsforscher selbst die grundlegendsten Fallstricke der Epidemiologie nicht im Griff hätten. So würden sie beispielsweise Korrelation mit Kausalität verwechseln und Störfaktoren wie Alkoholkonsum oder Rauchen in ihren Studien nicht berücksichtigen.
Schweizer Erfolgsgeschichte
«Es existieren Zehntausende hochkarätige Publikationen in dem Bereich, das soll alles unbrauchbar sein?», sagt Künzli. In den letzten zwanzig Jahren hätten sich die Messmethoden laufend verbessert, und immer wieder neue Versuche, frühere Befunde zu widerlegen, hätten die Qualität der Resultate stark gesteigert. Für den scheinbar unplausiblen Vergleich mit dem Zigarettenkonsum hat Künzli eine einfache Erklärung: «Die Belastung durch Tabakkonsum ist zeitlich beschränkt; die Luftschadstoffe sind zwar tiefer konzentriert, doch die Exposition beginnt vor der Geburt und dauert jeden Tag 24 Stunden.»
Beobachter fühlen sich bei der nun von zweifelhaften Experten losgetretenen Diskussion an Kontroversen zum Klimawandel oder zum Tabakkonsum erinnert. «Offensichtlich will da jemand Verunsicherung stiften und hat dafür ein paar Ärzte gefunden, die sich profilieren möchten», sagt Künzli. Er hofft, dass das Thema nicht auch in der Schweiz hochkochen wird. Aus seiner Sicht ist hier die bisherige Politik eine Erfolgsgeschichte, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der Luft geführt hat. «Hysterische Fahrverbote wie in Deutschland, die letztlich die Folge des Dieselskandals und einer verfehlten Förderungspolitik sind, bringen absolut nichts.»
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