
In den 1930 erschienenen «Geschichten vom Herrn Keuner» sinniert Bertolt Brecht über den Wert der Zeitung, «der Konserve der Zeit». Der Schriftsteller erzählt, wie Herr Keuner Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen, begegnete. «‹Ich bin ein grosser Gegner der Zeitungen›, sagte Herr Wirr: ‹Ich will keine Zeitungen.› Herr Keuner sagte: ‹Ich bin ein grösserer Gegner der Zeitungen. Ich will andere Zeitungen.›»
Herr Wirr hielt den Menschen für hoch und die Zeitungen für unverbesserbar. Herr Keuner hingegen hielt den Menschen für niedrig und die Zeitungen für verbesserbar. Einem langjährigen Leser von Tamedia-Titeln zu unterstellen, er halte den Menschen für niedrig, wäre unangebracht. Dass er hingegen den «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» für verbesserbar hält, steht ausser Zweifel. Er tut das seit der ersten Beschwerde vor zwölf Jahren und seither regelmässig.
Stein des Anstosses 2010: Onlinekommentare, die «Kunst» und «Künstler» in Anführungszeichen setzten. Ausser dem jeweiligen Inhalt stört ihn vor allem, dass seine kritischen Kommentare nicht aufgeschaltet werden – ein Umstand, der andere Leserinnen und Leser ebenfalls wiederholt ärgert. Dies teils zu Unrecht, wenn das Feedback gegen die Regeln verstösst. Teils aber auch nicht, wenn Kommentatorinnen und Kommentatoren nicht nachvollziehen können, weshalb ihre Meinung unterdrückt wird.
Sie vermissen, je nachdem, Fairness, Konsistenz oder Transparenz. Wie zum Beispiel jener Leser, der in seiner Reaktion auf ein Interview mit GLP-Nationalrat Martin Bäumle zum Thema Ukraine an das Münchner Abkommen von 1938 erinnerte: «Hat man da nicht auch gedacht, zulasten eines Drittstaates den Frieden kaufen zu können?» Die Onlineredaktion lehnte den Kommentar mit der Begründung ab, er habe keinen Bezug mehr zum ursprünglichen Thema oder verstosse gegen die Werte einer fairen und sachlichen Diskussionskultur, «indem er ehrverletzend, beleidigend oder diskriminierend ist». Ja was jetzt genau, fragt sich ein Unbeteiligter. Der fragliche Leser weiss, dass es kein Recht auf Publikation von Kommentaren gibt und dazu keine Korrespondenz geführt wird, hält aber die Begründung selbst für ehrverletzend und pauschal.
Dem erstgenannten Leser ist die Kulturberichterstattung dieser Redaktion in all ihren Facetten seit jeher ein Dorn im Auge. Er hält die Kulturredaktion für anbiedernd, dilettantisch und kritikunfähig. «Pop-Lifestyle-People-News» würden im Blatt überhandnehmen, seit das Ressort neu organisiert worden sei. Auch die Artikel, die von der «Süddeutschen Zeitung» übernommen würden, befassten sich nicht mit «Hochkultur». Die Schlussfolgerung: «Die Kulturredaktion hat eindeutig einen Dünkel gegenüber Kultur mit Anspruch – von wegen Vielfalt.» Der Leser fragt sich, ob das Ressort nicht einfach nur «einen riesigen Hass auf Kunst, Kultur, Bildung und Reflexion» habe. Vor Jahren seien seine Kommentare noch publiziert worden, heute würden sie es nicht mehr. Und wie endet Bertolt Brechts Geschichte vom Herrn Keuner, der den Menschen für niedrig und die Zeitungen für verbesserbar hielt? «‹Alles kann besser werden›, sagte Herr Keuner, ‹ausser dem Menschen.›»
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Kolumne Ombudsmann – Kritikkultur vs. Kulturkritik
Welche Onlinekommentare soll diese Redaktion publizieren? Welche nicht? Zwar gibt es klare Richtlinien. Trotzdem gibt das Thema immer wieder zu reden.