Leicht verdiente 900'000 Franken
Bob Dylan hat die traditionelle Nobelpreis-Rede als Audio-Dokument abgeliefert. So weit, so ungewöhnlich. Doch was hat sie inhaltlich zu bieten?
Bob Dylan und der Literaturnobelpreis: Das ist eine Geschichte einer unendlichen Ziererei. Erst reagierte der Songwriter wochenlang nicht auf die Zuerkennung, dann blieb er der Verleihung fern. Im April, als er sowieso gerade in Stockholm auftrat, war er bereit, in einer «kleinen, intimen Zeremonie» Plakette und Urkunde abzuholen. Diesen Montag nun, wenige Tage vor Ablauf der Frist, traf seine Nobelpreisrede bei der Schwedischen Akademie ein: Sie ist Bedingung für die Auszahlung des Preisgeldes, immerhin umgerechnet 900'000 Franken. Ganz so weit, die Preissumme verfallen zu lassen, ging die Nonchalance gegenüber der wichtigsten Auszeichnung der literarischen Welt dann doch nicht.
«Das Dylan-Abenteuer nähert sich dem Ende», schrieb die Akademie-Sekretärin Sara Danius, die die Rede auch gleich als «ausserordentlich» pries. Wenn man sie liest – oder sie sich auf dem mitgesandten Audio-Dokument anhört, 27 Minuten, von leisem Pianojazz unterlegt –, erscheint das rühmende Attribut eher als verlegene Höflichkeit. Melville, Remarque, Homer
Dylan kündigt an, die Bedeutung von Literatur für seine Songs zu erläutern, und erinnert erst einmal an Buddy Holly, sein grosses Vorbild, der ihm bei einem Konzert direkt in die Augen gesehen und «etwas übermittelt» habe, was ihn habe frösteln lassen. Die Folkmusik habe ihm das «Vokabular» für seine eigenen Songs gegeben. Den Blick auf die Welt aber, also gewissermassen den Inhalt der Songs, den habe er von der Literatur. Und dann nennt Dylan Schullektüren wie «Don Quijote», «Gullivers Reisen» oder «Robinson Crusoe» und drei Lebensbücher, auf die er näher eingeht: «Moby Dick», «Im Westen nichts Neues» und die Odyssee.
Eine Zusammenstellung, die neugierig macht. Alle Bücher handeln ja von Männern, die kämpfen: gegen eine Obsession (Ahab und der weisse Wal), in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs (Remarque), gegen Ungeheuer, Götter und die Elemente auf dem beschwerlichen Weg nach Hause (in Homers Epos). Die Kämpfe enden böse: Bei Melville überlebt nur der Icherzähler, in Remarques Roman sterben alle Soldaten, denen wir begegnen, und auch der Heimkehrer Odysseus hat zuvor alle Gefährten verloren.
Was reizt den Songwriter an diesen Schlachtgemälden? Was davon hat seine Songs geprägt? Sieht er das Leben als Kampf? Das wüsste man gern. Wir erfahren es nicht. Dylan erzählt die drei Werke nach, dramatisch, aber oberflächlich. In «Moby Dick» sei «alles drin», von der Zoologie bis zur Weisheit aller Religionen; «Im Westen nichts Neues» sei eine Horrorstory aus der Hölle, die ihm jede weitere Kriegslektüre überflüssig gemacht habe. Und Odysseus' Abenteuer – glichen sie nicht dem, was wir auch schon mal erleben: Drogen in den Wein geträufelt bekommen, mit der falschen Frau schlafen, uns weit entfernen und wieder zurückkommen?
Was es bedeutet? Egal
Er und andere Songwriter seien von «diesen Themen» beeinflusst, sagt Dylan. Wovon und wie genau, sei unwichtig. Und was die Songs eigentlich bedeuten, auch. «If a song moves you, that's all that's important.» Das klingt wie ein kleiner Fusstritt gegen Dylanologen. Es ist aber mehr: eine Absage an die Interpretation. An die Vorstellung, Literatur sei mehr als eine spannende, bewegende Handlung oder ein angenehmer Sound. Auch Melville habe sich nicht darum gekümmert, was sein voll gepackter Roman eigentlich meinte. Auch an Nachwirkung, an Nachruhm glaubt Dylan nicht. Songs müssten heute gesungen und gehört werden, Literatur heute gelesen, das ist alles. Eine bescheidene Vorstellung eines Literaturnobelpreisträgers.
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