Im Kopf des Opfers
Die Schriftstellerin Amélie Nothomb hat mit einem Text aus der Perspektive von Zeena al-Hilli, dem überlebenden Mädchen des Vierfachmordes von Annecy, eine Kontroverse ausgelöst. Was darf Literatur?
Manche Dinge entziehen sich der Erkenntnis, weil die Faktenlage zu unklar ist. Für Schriftsteller war dies immer schon eine spezielle Herausforderung. Und wir verdanken gewaltige, aber auch unheimliche Werke der Weltliteratur dem Wagnis von Autoren, sich in Köpfe von Mördern, Extremisten oder Menschen in Extremsituationen zu versetzen. Weil die Fiktion der Wahrheit manchmal näher kommt, als lückenhafte Ermittlungen. Truman Capote schrieb «Kaltblütig», Marguerite Duras schrieb «Sur l'affair Villemin», Gerd Koenen dachte sich in die Köpfe der RAF-Terroristinnen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin hinein.