Kultur lässt Landwirtschaft hinter sich
In den eidgenössischen Räten steht demnächst das Traktandum «Kulturbotschaft 2012-2015» an. Zur argumentativen Stärkung legt Wolfgang Böhler einen Textband dazu vor.

Die Politik tut sich gemeinhin schwer mit Debatten über die Kultur. Das hat viel mit Unsicherheit zu tun: Wie soll über etwas gesprochen werden, das sich klaren Zuordnungen entzieht? Dennoch sind solche Debatten wichtig, weil Kultur zur gesellschaftlichen Grundversorgung gehört und weil Kunst gerne für Repräsentationszwecke benutzt wird.
Kunst will verunsichern, Kultur Identität stiften
In einem Band mit Essays und Kolumnen bietet der Philosoph und Musikwissenschaftler Wolfgang Böhler vielfältige Anreize zur Auseinandersetzung mit Blick auf den Stellenwert von Kunst und Kultur. Als Erstes gilt es dabei die Begriffe zu differenzieren: «Kunst will verunsichern, wo Kultur identitätsstiftend wirken will.» Kunst und Kultur bilden somit ein widerspenstiges Begriffspaar.
Wenn es um ihre wirtschaftliche Potenz geht, verfügen sie gemeinsam allerdings über einiges Gewicht. Bezüglich Wertschöpfung lässt die sogenannte Kreativwirtschaft Bereiche wie Landwirtschaft oder Cleantech hinter sich. Das politische Echo darauf bleibt jedoch vielsagend stumm. Und so sind es auch die parteipolitischen Stellungsnahmen zur Kultur.
SVP billigt Kultur politstrategische Bedeutung zu
Einzig die SVP, konstatiert Böhler, billigt der Kultur politstrategische Bedeutung zu, die es mit Streichanträgen klein zu machen gilt. Die bürgerlichen Mitteparteien dagegen interessieren sich kaum dafür. «Staatskultur? Nein danke», heisst es unisono, bevor überhaupt geklärt worden wäre, was dieser irreführende Kampfbegriff meint. Worin läge denn die Differenz zur «Staatskuhhaltung» oder zum «Staatstiefbau»?
Böhler konstatiert in diesem Punkt unumwunden einen «geistigen Stillstand in der bürgerlichen Mitte». Dabei böte gerade der Begriff «Staatskultur» Anlass zu inhaltlichen Debatten. Welche politische Bedeutung haben Kunst und Kultur? Kultur beispielsweise repräsentiert die schweizerische Vielfalt im Ausland, und Kunst wirkt als zentrales «Ideenlabor» für die Gesellschaft und – nicht zu vergessen – für die Wissenschaft.
Innovativer Standort braucht mehr Kultur
Allerdings gibt Wolfgang Böhler zu bedenken, «dass das Kunstschaffen nicht die Magd der Ökonomie ist, sondern sich selbstbestimmt, zweckfrei und interesselos entfalten können muss». Wenn die Schweiz sich als innovativer, kreativer Standort behaupten will, benötigt sie mehr Kunst und Kultur, ist er überzeugt.
Sein engagierter Einsatz für eine «entideologisierte freiheitliche Kulturpolitik» lässt aber auch die Kulturszene nicht ungeschoren. Sie muss sich Schelte gefallen lassen, etwa weil ihre Funktionäre «zum Teil erschreckende Mängel an zukunftsgerichtetem Gestaltungswillen und Ignoranz gegenüber neuen Form und Medien des Kulturlebens» an den Tag legen würden.
Auch wer mit dem Autor nicht alle Ansichten teilt, kann das kleine Buch als einen erfrischenden, oft pointiert witzigen Anreger für Debatten lesen, die nicht zuletzt im politischen Interesse zu führen sind.
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