Jugendliche Storykiller
Die grösste Sorge der heutigen Jugendlichen soll laut Studien die Einwanderung sein. Tatsächlich? «Echo der Zeit» geht der Sache diese Woche auf den Grund.

Die grösste Sorge der heutigen Jugendlichen in der Schweiz? Es würde einem allerhand einfallen: die Angst, keine Lehrstelle zu finden zum Beispiel. Nach der Lehre arbeitslos zu sein oder zu wenig zu verdienen. Der wachsende Druck in der Leistungsgesellschaft. Die Klimaerwärmung. Der Populismus. Der Rechtsextremismus. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in aller Welt.
Falsch gedacht. Als grösstes Problem betrachten 17-Jährige die Einwanderung. Nicht nur Schweizer Jugendliche, sondern auch solche mit ausländischen Wurzeln. Das zumindest haben verschiedene Befragungen in den vergangenen Jahren ergeben. Die Reporter von «Echo der Schweiz» wollten herausfinden, warum dies so ist, und führten in der baugewerblichen Berufsschule Zürich sozusagen eine Feldstudieunter 17-Jährigen durch. Dazu besuchten sie mehrmals eine Klasse von Maurerlehrlingen und von Bauzeichnerinnen.
«Ich bin mir gar nicht mehr so sicher»
«Haben Sie herausgefunden, warum die Zuwanderung die grösste Sorge der Jugendlichen ist?», wollte die Moderatorin zu Beginn der Sendereihe vom Projektverantwortlichen wissen. Und dieser antwortete: «Ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob die Zuwanderung tatsächlich deren grösste Sorge ist.» Die Jugendlichen hätten vielmehr erstaunt reagiert, als man ihnen von den Studienergebnissen erzählt habe. Sätze wie diese nennt man im Journalismus «Storykiller», weil sie eine Geschichte im Grunde zunichtemachen und ihr damit die Rechtfertigung nehmen.
Vielleicht war Teil 1, der am Montag bei «Echo der Zeit» ausgestrahlt wurde, auch deswegen nicht ganz so aufschlussreich, es war eher eine Aneinanderreihung von Zitaten von Jugendlichen, die zu einem Thema etwas sagen, weil man sie gezielt danach fragt, und nicht, weil ihnen etwas auf der Zunge brennt.
«Wenn die Schweizer Nati verliert, sind immer die Ausländer schuld.»
«Würde die Schweiz keine Ausländer ins Land lassen, hätte ich meine Freundin nicht kennen gelernt», sagte einer der jungen Männer, und ein anderer erzählte: «Auf der Baustelle haben wir alle möglichen Nationalitäten, aber wir arbeiten als Team zusammen.» Ein Schweizer erzählte, dass sie in der Schule keine Shirts mit Schweizer Kreuz hätten tragen dürfen, um die ausländischen Mitschüler nicht zu provozieren. Und ein Mitschüler mit ausländischen Wurzeln sagte: «Wenn die Schweizer Nati verliert, sind immer die Ausländer schuld.»
«Wenn du ein Haus hast, zu essen und zu trinken, musst du nicht flüchten.»
In Teil 2 von Dienstag begleiteten die Reporter den Maurerlehrling und SVP-Sympathisanten Mario aus Wädenswil, der sich in der Stadt Zürich eingeengt fühlt, der sich Sorgen darüber macht, dass es in der Schweiz eines Tages zu wenig Platz geben und unsere Kultur verschwinden könnte.
«Es gibt Flüchtlinge und Flüchtlinge. Die Wirtschaftsflüchtlinge sind diejenigen, denen es unten gut geht. Wenn du ein Haus hast, Essen und Trinken, musst du nicht flüchten», fand Mario. Gegen Ausländer habe er nichts, solange sie arbeiteten und sich integrierten: «Wenn jemand Indonesier ist, dann heisst das nicht, dass jemand ein schlechter Mensch ist.» Die meisten von Marios Kollegen auf der Baustelle stammen aus dem Balkan oder Italien.
Die grössten Probleme im Ausgang
In Marios Schulklasse geben sich die meisten ebenfalls entspannt. Viele haben selber ausländische Wurzeln, und sowieso, ausländische Einflüsse hätten ja auch ihre Vorteile. So könne er zwischendurch Pizza oder Kebab essen, meinte einer, und ein anderer sagte: «Alle meine Freunde sind Ausländer.» Ängste haben die 17-Jährigen trotzdem, die meisten fürchten sich davor, «dass sie uns den Job wegnehmen, weil sie billiger sind als wir».
Schliesslich begleitete der SRF-Reporter Mario in den Ausgang – an eine typisch schweizerische Fasnachtsparty, an der keine Ausländer zugegen waren. Das sei entspannter, sagte eine junge Frau, unter Ausländern sei die Stimmung im Ausgang oft aggressiver. Fast jeder gab an, im Ausgang schon Probleme mit Ausländern gehabt zu haben, grundlos angepöbelt worden zu sein. Eine junge Frau relativierte allerdings, Pöbeleien seien allgemein ein Männerding.
In den nächsten zwei «Echo der Zeit»-Sendungen heute Mittwochabend und morgen Donnerstag werden hauptsächlich junge Frauen zu Wort kommen. Ihre grosse Story-Rettung werden die Reporter aber vermutlich auch dort nicht finden. Offenbar bedrückt die Jugendlichen das Einwanderungsthema doch weniger als die Studien gezeigt haben. Aber das ist ja eigentlich etwas Gutes, Storykiller hin oder her.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch