Parade der Grüsel
Trump, Kushner und Putin: Nun kann der Widerling wieder ganz selbstbewusst auftreten.
Es muss selbst einem Donald Trump manchmal aufgehen, dass er nicht dort hingehört, wo er ist. Zumindest scheint er verschiedentlich zu vergessen, wo er sich gerade befindet. Wenn er zum Beispiel wieder einmal mit dem Telefonhörer am Ohr hinter seinem Präsidentenschreibtisch mit den Magazinstapeln und den Dossiers mit den grossen Grafiken sitzt und ein bisschen in die Runde schaut, dann erblickt er vielleicht grad eine schlanke Reporterin und winkt sie spontan zu sich. «Sie hat ein hübsches Lächeln», sagt er dann gegenüber dem irischen Ministerpräsidenten. Mit dem hat er eigentlich gerade ein Telefongespräch angefangen.
Das erlebte die irische Journalistin Caitriona Perry diese Woche im Oval Office. Der Präsident fand sich wohl charmant, für sie muss es eine unangenehme Begegnung gewesen sein. Wie findet man aus so einer Situation wieder heraus? Es ist die Frage, die sich alle Opfer von Creeps stellen.
Creeps, das sind Widerlinge, die sich ihrer eigenen Widerwärtigkeit oft gar nicht bewusst sind. Dazu gehören sämtliche Arten von potenziellen Triebtätern und Kerlen mit Schnäuzen, die man nicht zu nahe an Kinderspielplätze heranlassen sollte. «It gave me the creeps» heisst: Es überlief mich kalt, und wenn man liest, dass Trump dazu neigte, an von ihm veranstalteten Schönheitswettbewerben in die Garderobe mit den Teilnehmerinnen reinzuschielen, muss man sagen: klassischer Creep-Move.
Der moderne Creep krallt sich, was er will
Spätestens im Türspalt müsste dem Glotzer eingefallen sein, dass er an diesem bestimmten Ort sehr wenig verloren hat. Die Band Radiohead war da noch um einiges zaghafter, als sie vor einem Vierteljahrhundert ihren Hit «Creep» sang. «I don't belong here», ich gehöre nicht hierher, presste Sänger Thom Yorke mit gequälter Stimme hervor, denn: «I'm a creep.» Es war eine Ode an alle unansehnlichen Typen, die vor den makellosen Frauen stehen und sich schämen angesichts ihrer Lust. «What the hell am I doing here?» Hunderttausende von Pizzagesichtern wussten genau, was Thom Yorke meinte.
So sensibel waren die 90er-Jahre eben schon, dass der Sänger damals in einem Interview erklären konnte, das Leben als Mann sei nicht einfach, er wolle sich als sexuelles Wesen verstehen, aber ohne die ganzen schweissigen Rockstar-Attribute, die man womöglich damit assoziiert. Das waren noch Zeiten, als jemand Beklemmung verspürte angesichts eines Begehrens, das sich unbändig äussert. Thom Yorke sah sich als Creep, weil er sich selbst anwiderte, als Loser unter Engeln.
Der moderne Creep hingegen verhält sich ganz selbstbewusst. Daran, dass es dem Gegenüber unangenehm wird, geilt er sich gerade auf. Er krallt sich, was er will, und will jemand nicht, nimmt er diese Person zur Seite, um ihr in allem Vertrauen seinen Willen aufzunötigen. Trumps Verhalten gegenüber dem Ex-FBI-Chef James Comey, den er abends zu einem Dinner zitierte, ohne ihn zu informieren, dass die beiden allein sein werden, erinnerte nicht zufällig viele Frauen an die Verhaltensmuster sexueller Belästigung.
Die Widerlinge kommen aus dem Fernsehen
Die neue autoritäre Politik ist nicht nur maskulin, sondern voll creepy: von Putins kaltem Herrschergesicht bis zu Jared Kushners geisterhaft leerem Blick. Es lohnt sich deshalb, den Essay «Creepiness» des US-Philosophen Adam Kotsko (Zero Books, ca. 24 Franken) zu lesen. Der ist zwar schon 2015 erschienen, aber Kotsko beschreibt die Spezies der Gruselmänner anhand einer Populärkultur, von der auch Trump etwas versteht: das Fernsehen.
Genauer macht er widerwärtiges Verhalten an den Figuren aus jenen Qualitätsserien fest, die man auch hierzulande mit allen distinktiven Raffinessen konsumiert. Das Alter Ego von Louis C.K, der Komiker in der Comedy-Serie «Louie», kommt als übergriffiger Tölpel ebenso vor wie der notgeile Werber Don Draper aus «Mad Men», der angesichts seiner vielen Affären irgendwann seiner eigenen Familie vorkommen muss wie ein Eindringling. Bekiffte Erwachsenen-Cartoons wie «Family Guy», die Dauernacktheit von Lena Dunham in «Girls», der abstossende Missbrauchstrip des Meth-Zars Walter White in «Breaking Bad»: Zeichen einer Creepy-Kultur.
Der Lockruf vieler Serien ist der eines Perversen: «Du magst das doch, nicht wahr?» Für Kotsko ist demnach das, was uns einen Schauer über den Rücken jagt, jene unheimliche Erfahrung, ob der wir uns selbst fremd werden: «I don't belong here.» Die schmerzhafte Einsicht von Radiohead hat der zeitgenössische Creep längst hinter sich gelassen. Er ist von sich selbst nicht mehr angewidert und kann sich deshalb umso unverfrorener als Ekel verhalten.
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