Er liebte Frauen und verunsicherte Männer
Mit seinem androgynen Auftritt distanzierte sich Prince von der schwarzen Machismokultur. Und er nahm die Frauen als Musikerinnen ernst.

Als er die Bühne betrat, trug er einen langen, offenen Mantel, darunter Stay-up-Strümpfe und einen schwarzen Slip. Sonst hatte er nichts an ausser seiner Gitarre. Er trat vors Mikrofon und sang «Jack U Off», ich hole dir einen runter. Das Publikum war zahlreich, weiss und unzufrieden. Es buhte den Sänger aus, bewarf ihn mit Bierdosen und was sonst noch zur Hand war. Nach ein paar Songs ging der Sänger mit dem offenen Mantel von der Bühne.
Das war im Oktober 1981 im Los Angeles Memorial Coliseum, Prince spielte im Vorprogramm der Rolling Stones. Die hatten sich schon immer von den besten schwarzen Musikern herausfordern lassen, Chuck Berry, B. B. King, Ike & Tina Turner, Stevie Wonder, Buddy Guy, Junior Wells, The Meters, die Neville Brothers. Bei Prince waren die Stones ihrem Publikum weit voraus. Und Prince hatte sein Publikum noch gar nicht gefunden.
Ewig rotierende Sexmaschinen
Das ist eine ziemliche Weile her, aber weniger lang, als es einem vorkommt. Die multikulturelle, polysexuelle Vergebensatmosphäre von heute macht vergessen, wie verklemmt die weisse und wie homophob die schwarze Kultur sich jahrzehntelang gebärdet hatten. Die weissen Rocker spielten in Jeans und langen Haaren, aber Frauen waren für sie höchstens am Tambourin, im Bett oder im Chor vorgesehen. Und die schwarzen Männer besangen ihre Königsschlange (John Lee Hooker), die Aufforderung zum Auspressen ihrer Zitrone (Howlin’ Wolf) oder feierten sich als ewig rotierende Sexmaschine (James Brown). In Anbetracht dessen, was die Rapper aus den Ghettos später über ihre Cocks und Bitches skandieren würden, klang das nachgerade schüchtern.
Dennoch war die Geschichte schwarzer Musik männlich dominiert, noch stärker als bei den Weissen, weil das Mannsein bei den Schwarzen zugleich eine Beteuerung der Befreiung enthielt. Wer ein Mann ist, kann kein Sklave sein.
Aus dieser Geschichte, aber nicht in dieser Tradition tauchte Prince auf, der hellschwarze Tänzer aus Minneapolis, der Poseur mit Mascara und Bambiaugen. Mit seinen androgynen Auftritten tat mit der afroamerikanischen Männermusikkultur, was David Bowie zehn Jahre zuvor den Rockmusikmännern angetan hatte: Er hinterfragte ihre Sexualität, indem er seine eigene mit Vieldeutigkeiten versah. Beide Männer hatten eine feminine Ausstrahlung, beide hatten keine Angst, stark geschminkt, bunt geschmückt und in Frauenkleidern aufzutreten, sich in Seide zu hüllen und mit Rüschen kitzeln zu lassen. Beide waren Heterosexuelle mit homosexuellen Attributen, sie betrieben eine exaltierte Theatralik, sie waren camp.
Bin ich schwarz oder weiss?
Kokett besang Prince die selbstgeschaffene Verwirrung auf «Controversy», dem Titelstück seines vierten Albums: «I just can’t believe / All the things people say / Controversy / Am I black or white / Am I straight or gay?» Ich kann nicht glauben, was die Leute sagen über mich. Bin ich schwarz oder weiss, hetero oder schwul?
Camp, hat Susan Sontag angemerkt, sei «eine Lüge, welche die Wahrheit sagt». Prince’s Wahrheit bestand darin, dass er sich seiner Sexualität so sicher war, dass er andere damit verunsichern konnte, allen voran die schwarzen Männer, deren Angebertum er parodierte.
Prince liess keinen Zweifel daran, dass er die Frauen liebte, er besang seine Wünsche und ihre Erfüllung. Dass er sich in femininen Posen zeigte, machte ihn für Frauen und Männer attraktiv, aber auch für Schwarze und Weisse, denen die brutalen Parolen des Hip-Hop zu weit gingen. Sie sangen von Drogen, er von Parfüm. Sie trugen Kampfanzüge, er kleidete sich in lila Seide. Sie prahlten, er lockte. Ein viriler Mann in Absätzen, Rüschen und mit Falsettstimme.
Dabei ging es ihm um mehr als androgyne Rollenspiele, um das Zeukeln der Geschlechter. Es war nicht nur so, dass Prince die Frauen liebte und die Weissen nicht abwies, es wollte nicht nur die Grenzen der Geschlechter und Rassen transzendieren, er handelte auch danach. Vor ihm hatten schwarze Bandleader kaum je Instrumentalistinnen zugelassen, nur als Sängerinnen durften Frauen im Zentrum stehen. Bo Diddley war einer der ersten, die mit Musikerinnen arbeiteten, auch Sly Stone, der schwarze Hippie aus San Francisco, stellte Männer und Frauen ein, Schwarze und Weisse.
Ohne Mantel
Prince tat beides mit systematischer Konsequenz. Sheila E. (Schlagzeug), Rosie Gaines (Orgel und Gesang), Wendy and Lisa (Gitarren und Keyboards) waren nur einige seiner Mitarbeiterinnen. Bei seinem letzten Schweizer Auftritt war er der einzige Mann auf der Bühne.
Jedenfalls, als Prince nach dem ersten Auftritt vor den Stones in Los Angeles am zweiten Abend wieder auftauchte und dieselbe Garderobe anhatte, Mantel und Strümpfe und Unterhose, hielt ihn einer an und sagte, so kannst du nicht auf die Bühne. Prince nickte.
Und zog den Mantel aus.
Erstellt: 22.04.2016, 18:48 Uhr
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