Und just dann kam das Gewitter
Er ist ein Rap-Superstar. Er gewann den Pulitzer. Gestern war er in Zürich: Kendrick Lamar.

Die Popgeschichte haben sich die Gebrüder Gallagher ein wenig anders vorgestellt: Noch vor zehn Jahren zettelten die Brit-Popper eine Petition gegen den Auftritt von Jay Z am Glastonbury Festival an. Und nun müssen sie zuschauen, wie ein Rapper all die Headlinerslots an Festivals ausfüllt, die sie längst nicht mehr erhalten. Dieser Rapper heisst Kendrick Lamar, und er trägt am Donnerstagabend am Zürich Openair ein Oasis-T-Shirt, als wolle er nochmals verdeutlichen, welche Musik den Takt der Gegenwart angibt – und welche bestenfalls noch nostalgische Gefühle weckt.
Denn der Moment, der gehört nun schon seit einiger Zeit dem kleinen Mann aus Compton, der in Rümlang die Geschichte seines Aufstiegs nicht mit authentischen Filmchen aus der Vorstadt von Los Angeles inszeniert, sondern mit lustigen Kung-Fu-Filmen, die dann natürlich doch ernster sind, als sie zunächst wirken.
Als er die erste Stufe seiner «muthafucking skills» erreicht hat, blitzts auf der Bühne.
Das Publikum sieht dann als Intro, wie «Kung Fu Kenny» eine Reihe an Prüfungen zu absolvieren hat. Er braucht auf seinem Weg zur Meisterschaft, zum «greatest rapper alive», natürlich Strenge, und vor allem Disziplin – eines von Lamars Lieblingsworten, wenn er über seine Kunst spricht –, um all die Prüfungen zu bestehen und all die Hindernisse zu überwinden, die ein schwarzer Mann wie er aus dem Weg räumen muss.
Als er die erste Stufe seiner «muthafucking skills» erreicht hat, blitzts auf der Bühne, ein Clip eines Fox-News-Moderators wird auf der Leinwand eingespielt, der Lamar der Gewaltverherrlichung bezichtigt (und einen seiner Texte falsch zitiert). Ehe alles explodiert: Die Pyrotechnik, die Publikumsmenge, und Lamar, der «DNA» fiebrig performt, dieser Song, in dem er sein Erbgut entschlüsselt, und in dem alles da ist, was seine Kunst ausmacht: «I got power poison pain and joy inside my DNA», rappt er, und die Macht, das Gift, der Schmerz und die Freude, all das ist in diesem lang erwarteten Schweizer Konzert seiner «Damn.»-Tour dann auch enthalten.
Die Polizeisirenen sind nie fern
Kendrick Lamar nimmt den ganzen Raum der Bühne ein; die Band, die auf den Seiten der Bühne die Backingtracks mit ihren Instrumenten anreichert, spielt keine grosse Rolle. Der 31-Jährige füllt diesen leeren Raum aus, nicht mit virtuosen Tanzchoreografien oder sonstigen Superheldenskills, sondern durch die Präsenz eines Introvertierten, die durch die Clips auf der Videowand potenziert wird. Da scheinen die Worte «Pulitzer Kenny» auf, die – falls man es vergessen hat – noch einmal vor Augen führen, dass wir es hier mit dem ersten rappenden Pulitzer-Preisträger zu tun haben.
Die Welt ist am Brennen, King Kong wütet just dann, wenn Lamar «King Kunta» gibt, Strassengangs prügeln sich, und die Polizeisirenen, die sind nie fern, auch wenn eben noch die Liebe so zärtlich und der Rapper schon fast nahbar erschienen ist. Und auch wenn auf dieser Festivaltour längst nicht alles so raffiniert und genau inszeniert ist wie seine virtuosen Videoclips und seine jüngste Hallentour, während der Lamar wie ein Messias gefeiert wurde, so verfehlt dieser Auftritt seine Wirkung nie.
Just dann, als Kendrick Lamar das letzte Lied «All the Stars» aus dem afroamerikanischen Superhelden-Blockbuster «Black Panther» singt, als sehr viele sehr ausgelassen strahlen, erreicht der erwartete Gewittersturm das Festivalgelände. Ein würdigeres Ende? Unvorstellbar.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch