Triumph des Nicht-viel-Könnens
Der Berner Überwältigungs-Blueser Reverend Beat-Man ist gerade dabei, Amerika zu erobern. Sein neues Album «Blues Trash» ist eine zappendustere Freude.

Die Nachrichten, die uns von der laufenden USA-Tournee von Reverend Beat-Man erreichen, klingen hochtrabend und niedergeschlagen gleichzeitig. Der Berner Prediger des unfeinen Blues hat die Tour Anfang April im ausverkauften «Hi Hat» in Los Angeles gestartet. Seither gehts im Zickzack über den Stadt-Land-Graben der USA.
Mal spiele er vor Cowboys, mal vor Punks, mal vor «schönen Disco-Frauen», wie er es beschreibt, mal vor Skinheads und meist vor einer Mischung aus alledem. Die meisten Konzerte seien gut besucht, doch das Land sei eine einzige Drogenhölle geworden, sagt Beat-Man: «Während im Club alle Spass haben, begegne ich auf den Strassen dem ganzen Elend, den Desillusionierten und Obdachlosen.»
Seine Musik nennt er «Krach»
Die Amerikaner mussten lange auf den Berner warten. Zwei Jahre lang wurde ihm das Künstlervisum verweigert, jetzt darf er endlich durch jenes Land wüten, aus dem der Blues stammt, den er mit neuem Furor aufgeladen und zu neuer Schärfe gewetzt hat. Gar über zehn Jahre musste sich gedulden, wer dem neusten Album des Reverend entgegengefiebert hat. Es standen andere Produktionen und Projekte im Vordergrund – etwa seine Ur-Band The Monsters.
Pünktlich zur Eroberung der Welt ist nun «Blues Trash» erschienen. Es ist ein Paradewerk der primitiven Überwältigungs-Rockmusik. Wenn man mit Beat-Man über seine Musik spricht, redet er gern von «Krach», wie der «Lärm» auf Berndeutsch so schön heisst, von künstlerischen Ungenauigkeiten, die er mag, und vom Umstand, dass er musikalisch ein Nicht-viel-Könner sei. Ein Gestus, den er aus dem Punk und noch mehr aus dem Post-Punk der frühen 80er-Jahre bis ins Heute herübergerettet hat.
Die Stimmtherapeutin empfahl Instrumentalmusik
Dass er nicht zum engelsstimmigen Sängerknaben taugt, hat ihm einst auch seine Stimmtherapeutin bestätigt. An sie wurde er verwiesen, nachdem er sich seine Stimmbänder derart wundgeschrien hatte, dass eine einjährige Sing- und Sprechpause ratsam schien. Nachdem diverse Versuche gescheitert waren, zum Piano einen geraden Ton zu singen, meinte die Stimmtherapeutin, er solle doch besser zur Instrumentalmusik wechseln.
Den Rat hat er nicht befolgt. Und obwohl seine Stimme tatsächlich klingt, als würde er morgens mit Kieselsteinen gurgeln, und obschon er bis heute eher keine Soli auf seiner Gitarre spielt, die das Zeug hätten, Menschen vom Fach auch nur annähernd zu beeindrucken, ist seine Musik weit mehr als die Summe ihrer Unvollkommenheiten: Das neue Album «Blues Trash» ist ein Werk voller Drastik, voller bluesiger Inbrunst, voller Unberechenbarkeit, voller Fantasie und voller – zugegeben etwas morbidem – Humor. Ja, sogar eine ganze Portion Schönheit findet sich darauf. Eine Schönheit, die bewusst schlecht ausgeleuchtet ist und die sich dem Nachtblinden nie erschliessen wird.
Schattenboxen mit Varianten
Wenn man etwas intensiver mit Beat-Man über Musik redet, wird auch schnell offenbar, dass ihm Unrecht tut, wer ihn als den ewigen Krawallburschen der heimischen Gitarrenmusik abtut. An seine Arbeiten – wie auch an die Produktionen, die auf seinem Label Voodoo Rhythm erscheinen – stellt er höchste Qualitätsansprüche. Werden sie nicht eingehalten, sagt er das Release eben ab, Klagen und Jammern der Musiker hin oder her. Wenn es lärmen soll, dann nach allen Regeln der Kunst; wenns schon Kellerloch-Blues sein soll, dann solls auch das staubigste Kellerloch der Welt sein, bitte schön.
«Blues Trash» ist etwas vom Grossartigsten, was Beat-Man je hervorgebracht hat. Weil es alle Möglichkeiten des Schwarzmalens ausschöpft, weil hier der Schattenboxer Beat-Man nicht immer auf dieselbe Stelle haut, sondern seine virtuellen Gegner mit Variantenreichtum zermürbt. Daran ist auch seine neue Band schuld.
Liebeserklärung mit Grabesstimme
The New Wave besteht aus dem klangverliebten, im Free Jazz geschulten Taktgeber Julian Sartorius, dem Akkordeon-spielenden Jugo-Punk Mario Batkovic und dem lautmalerisch begabten Resli Burri. Und da ist die charmante Begleiterin Nicole Izobel Garcia, mit welcher Beat-Man im Duo seine Liveshows absolviert. In der wunderbaren Ballade «But I Love You» schmachtet die Amerikanerin mit mexikanischen Wurzeln auf Spanisch eine zwischenmenschliche Unterbilanz durchs Kellergewölbe, während Beat-Man nicht müde wird, mit Grabesstimme seine Liebe zu beteuern. Ein absonderlicheres und herzbeglückenderes Duett wurde der Musikwelt schon länger nicht mehr geschenkt.
Damit die Band ihr Kaliber nicht allzu offensichtlich herzeigen kann, hat Beat-Man sie vor den Aufnahmen genau einmal mit seinen neuen Liedern konfrontiert. Danach hatten die Musiker zwei Takes, um die Sache im Studio umzusetzen. Nicht dass ihn das Bandmaterial gereut hätte. Es geht dem Berner um den Moment, in dem ein Song noch unverbraucht ist, und die Band sich noch nicht in Sicherheit wiegt.
Und so holpert dieses wunderliche und wunderbare Album in Richtung Orkus. Selbst in den romantischsten Anwandlungen fliesst hier Blut, und hinter dem Lebensscheitelpunkt lauert der Knochenmann. Dennoch ist es ein sonderbar fröhliches Album geworden. Die Amerikaner jedenfalls dürften nach den Konzerten des Reverend Beat-Man leicht verwirrt in die richtige Welt zurückkehren. Wohl aber mit dem Erweckungserlebnis, dem derzeit schillerndsten Hohepriester des abgetakelten Rock ’n’ Roll begegnet zu sein.
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