Auf Tour mit einem radikalen Weltentwurf
Ein Jahr nach Zwinglis Tod versucht eine Theatertruppe, die Leute von der Reformation zu überzeugen: Das Stück «Zwingli Roadshow» ist wie geschaffen für das Theater Kanton Zürich.

Dorette ist die Frontfrau der Reformation. Traurig steht die Näherin vor uns auf der Bühne. Denn Huldrych Zwingli, der Leitstern ihres Glaubens, ist tot, die Katholiken haben ihn auf dem Schlachtfeld zu Kappel in Stücke gehauen. Und sie ruft jetzt allen, die falsche Geschichten über den Reformator erzählen, trotzig entgegen: «Schaut euch doch um im Züribiet, seht, was hier geschah, seit Meister Zwingli sein Amt antrat. Seht die Freude, die Hoffnung, die Heiterkeit, die aus allen Gesichtern leuchtet.»
Dorette sagt aber auch, dass die Sonne des neuen Glaubens in der Landschaft ihren Preis hat. Davon will sie mit ihrer kleinen Theatertruppe erzählen. Denn die Reformation gibt es nicht zum reduzierten Tarif. Sondern ist eine Sache auf Leben und Tod, besonders auf dem Land. In Zwinglis Zeit stirbt man leicht. Das Publikum sollte Nastüechli bereithalten.
Fake News zu Zeiten Zwinglis
Von Dorette und ihrem Agitprop-Theater, das durch die Dörfer zieht, erzählt «Zwingli Roadshow». Zum Spieltrupp gehören ein ehemaliger Reisläufer und seine Braut, eine Ex-Nonne aus dem Kloster Töss und ein Ex-Pfarrer. Sie alle wollen uns etwas erzählen über die Landschaft, die im Aufbruch ist.
«Wir haben eine Näherin, die hat eine Mission, nämlich Fake News über Zwingli zu widerlegen», sagt Regisseur Niklaus Helbling. «Unsere spielerische Fiktion ist, dass es tatsächlich Leute sind, die dieses Stück 1532 spielen, ein Jahr nach Zwinglis Tod. Diese Gruppe versucht, mit den Mitteln des Theaters ihre Sicht auf die Dinge zu erzählen, und das ergibt eben auch eine merkwürdige Form von Theater.»
Niklaus Helbling spricht von «Bauern-Kabuki» und muss selber über dieses Wort lachen. Man könnte auch sagen: Die Truppe ist ein wilder Haufen. Manchmal überbordet ihr Spiel. Das passt aber wunderbar zur Zeit, in der die Leidenschaften am Überkochen sind.
Dorette ist das frohe Wort der Reformation in Person, aus ihr sprudelt der neue Glaube nur so heraus. Fabienne Hadorn, die diese Frau voller Leidenschaft spielt, trägt auf der Bühne noch T-Shirt, wir sind beim Theater Kanton Zürich an der ersten Durchlaufprobe. Bis zur Premiere kann da noch viel passieren. Aber schon jetzt ist zu sehen, welch grosser Riss durch diese Landschaft geht. Die Sonne des neuen Glaubens ist aufgegangen. Aber der alte Glaube ist noch immer da. In diesem Durcheinander kann es die Menschen schon mal zerreissen.
Manchmal ist es hier fast zum Katholischwerden. Denn mitten im Spiel poppt eine Marienerscheinung im blauen Ährenkleid plus Heiligenschein auf und gibt allen ihren Segen.
Bewegung von unten
Eigentlich unerhört, ein solches Wunder in einem Stück im Rahmen des Jubiläums 500 Jahre Zürcher Reformation. Himmel, sind wir im falschen Theater? Natürlich nicht. Das Theater Kanton Zürich ist die beste Adresse für dieses Reformationsspiel. Es kennt sich in dieser Landschaft aus. Und Brigitte Helbling, die «Zwingli Roadshow» geschrieben hat, wie auch Niklaus Helbling, der das Stück auf die Bühne bringt, wollen keine einfachen Geschichten erzählen.
Die beiden zeigen die Welt der Reformation aus einer eigenen Perspektive, wie sie schon immer ein Theater der Vielfalt machten, zum Beispiel mit ihrer Kollektivtruppe Mass & Fieber. Auch «Zwingli Roadshow» ist Stückwerk, ganz viele Episoden kommen hier zusammen. Und alle spielen in die Gegenwart hinein. Denn die Reformation ist ein Langzeitprojekt.
Wir sehen eine Bewegung von unten, wie sie Peter Kamber auch in seiner Darstellung «Reformation als bäuerliche Revolution» beschrieb. «Zwingli Roadshow» nimmt diese Geschichten auf.
Seltsame Sachen passieren auf der Bühne. In Weiningen wird ein Pfarrer durch einen Luzerner Vogt entführt. In Zollikon versenken die Bauern den Palmesel im See. In Meilen entern Nachtbuben das Haus des Pfarrers und saufen und essen ihm alles weg. So geht es von Szene zu Szene, von Ort zu Ort. «Vo Wintertuur bis Wiinige, Embrach und Stei am Ryy, vo Grüenige bis Witike» und so weiter und so fort, wie es im Zwingli-Lied heisst: «Do leert mer s tütschi Gotteswort, wo jede Chrischtemänsch verschtaat. Herz mein, freu dich am reinen Hort des Glaubens, für den Zwingli starb.»
Die Bewegung im Stück kommt auch aus der Sprache heraus. «Wir versuchen, das Geschehen damals über die Bibelworte zu uns hin zu holen, dass man aus dem Wort heraus die Sache erkennt», sagt Niklaus Helbling. «Zwingli Roadshow» schaut dem Volk aufs Maul. Und manchmal sagt Dorette auch: «Kei Gschwätz, susch flüügsch.»
Auf jeden Fall passt das Stück genau zum Theater Kanton Zürich, auch diese Truppe ist unterwegs im ganzen Kanton. «Das ist doch eine tolle Art, Zuschauer abzuholen», sagt Brigitte Helbling, «da spielt das Theater in Zollikon, und Zollikon kommt als Thema auch im Stück vor.» Und über den Ortsbezug hinaus: «Wir hoffen, auch jüngere Menschen mit diesen Geschichten über die Reformation anzusprechen. Das Radikale an diesem Weltentwurf verstehen sie am besten.»
Also, Konfirmandinnen und Konfirmanden, geht hin!
Premiere: 13. September in Winterthur. Weitere Spieldaten: www.theaterkantonzuerich.ch
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