Keiner moralisiert so gekonnt wie er
Der Berner Kabarettist Nils Althaus mit seinem neuen Bühnenprogramm «Aussetzer».

So als Konzept ist Freiheit ja schön und recht. Nur in der Anwendung gestaltet sie sich meistens als mühselig. Denn was es alles zu entscheiden gibt. Ob erster Berufswunsch oder komplexes moralisches Dilemma – die Last des Selberdenkens ist das Thema des vierten Soloprogramms «Aussetzer» des Berner Kabarettisten und Schauspielers Nils Althaus, das im Berner La Cappella Premiere feierte.
Als Ausgangslage für einen Kabarett-Abend klingt das erst einmal reichlich lehrerhaft. Wenn es nicht Nils Althaus wäre. Denn Althaus gelingt das seltene Kunststück, zu moralisieren ohne dass es jemand richtig bemerkt. Und würde er doch einmal den mahnenden Zeigefinger erheben, er wäre gerichtet auf das Herdentier Mensch, das sich vor lauter Entscheidungsangst «die Freiheit nimmt, sich selbst die Freiheit zu nehmen», wie es in einem seiner Lieder heisst.
Tschütteler und Piloten
Das sieht dann zum Beispiel so aus, dass die Buben früher alle Tschütteler oder Pilot werden wollen und später als Banker herauskommen. Und Althaus’ Berufswunsch als Kind? Anästhesist. Er singt es mit der Leichtherzigkeit eines Chansonniers an seiner Akustikgitarre, und trägt doch mehr vor als nur eine Pointe. Jedenfalls ist es keine zum schnellen Weglachen, dafür schwingt zu viel Wahres mit.
Ähnliches geschieht in einer der besten Szenen des Abends, in der Althaus drei erdachte Figuren, eine Glückspost-Leserin, ein Bodybuilder und ein gläubiger Christ, untereinander ihre Fetische austauschen lässt. Der Muskelprotz lobpreist nun Gott, das Grosi ist stolz auf ihren gestählten Body und der Christ zitiert aus dem Impressum seines Lieblingshefts. Althaus trifft nicht nur Tonart und Pose der Rollen, sondern erzählt auf einer weiteren Ebene von menschlicher Verführbarkeit. Hanteln, Jesus oder Boulevard, zur Religion taugt heute alles.
Wenn eine Geste reicht
So weit, so subtil. Aber Althaus kann auch anders. Als bekennender Gutmensch und Stosslüfter ermahnt er sich selbst, dass er nun auf keinen Fall Zigarettenstummel auf den Boden werfen dürfe. Eine zynische Referenz an jene rechten Kreise, die Andersdenkenden gerne inkonsequentes Handeln vorwerfen. Richtig deutlich wird Althaus aber erst dann, wenn es um eine Gratiszeitung geht, die ihre Leser «emotional abholen» will. Da reicht ihm eine Geste: das Gesicht kapitulierend in die Hand gestützt.
Wie aber macht man es besser? Mithilfe von zwei überdimensionalen Tipp-Kick-Männchen, die sich gegenseitig in die Weichteile treten, klärt Althaus ein paar ethische Grundfragen. Das ist dann allerdings ziemlich affig. Von seiner Freiheit Gebrauch machen und den Saal verlassen, wie es Althaus während eines vorgetäuschten Aussetzers vormacht, will man aber nicht. Denn Satire, so Althaus, sei wie die Zeugen Jehovas: Sie müsse ein wenig nerven. Man glaubt es hörig und bleibt sitzen.
Bis 17. September in der Cappella
Erstellt: 15.09.2016, 17:14 Uhr
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