Kunst und Spiele
Einmal jährlich treffen sich Indie-Game-Entwickler in San Francisco. Unterwegs mit einem Shootingstar der Szene, der Zürcherin Philomena Schwab.
Pier 17
Statt zum Pitch-Training bei Swissnex fährt Philomena Schwab mit ihrem fünfköpfigen Team zu den Seelöwen, die sich beim Pier 39 in der Sonne suhlen. «Wir wollen die Zeit hier auch etwas geniessen; die nächsten Tage werden streng.» In drei Tagen beginnt die Messe GDC Play – mit mehr als 25'000 Teilnehmenden die wichtigste Game-Entwicklermesse der Welt. Hunderte Vertreter und Scouts sind vor Ort, Schwab und ihr Team präsentieren inmitten der 60-köpfigen Schweizer Delegation an einem Stand ihr Game.
Solche Trainings wie jetzt bei Swissnex, bei denen junge Entwickler ihre Spiele zu bewerben lernen, hat Schwab schon Dutzende durchgemacht. Sie macht irgend was richtig, selbst das Wirtschaftsmagazin «Forbes» berichtete über sie und zählte sie im letzten Jahr zu den 30 wichtigsten Technologie-Cracks unter 30. Ihr Game «Niche» hat die erste Hürde längst genommen. 30'000 Kopien davon hat sie abgesetzt, noch bevor das Spiel überhaupt erschienen ist. 400'000 Franken haben ihre darauf gegründeten «Stray Fawn Studios» (zu Deutsch: «Streunende-Rehkitz-Studios») eingenommen und kurz darauf ihre eigenen Büroräumlichkeiten im Zürcher Kreis 5 bezogen. Das fertige Game erscheint noch dieses Jahr.
Trotz dem Erfolg: Angebote – etwa aus dem Silicon Valley – schlägt sie aus: «Alles, was ich möchte, ist, das zu tun, was mir Spass macht.» Was heisst: am Videospiel «Niche» arbeiten, einem Genetik-Game, in dem der Spieler fuchsähnliche Wesen miteinander kreuzt, um auf einer Insel eine überlebensfähige Population zu etablieren. Die allerdings ist der Umwelt ausgeliefert. «Wir wollten ein Spiel machen, in dem die Wesen von aussen beeinflusst werden, und nicht umgekehrt.» Als Schwab an diesem Abend doch noch bei Swissnex eintrifft, schickt sie ihre Mitarbeiterin Laura vor, um das Spiel zu präsentieren.
Golden Gate Park
Wir fahren mit dem Auto zum Fototermin im Golden Gate Park, danach zum angrenzenden Ocean Beach. Auf dem Weg sehen wir hügelige Strassen und malerische Reihenhäuschen unter einer Postkartensonne. Schwab und die für den Game-Sound zuständige Mitarbeiterin Laura Reber besprechen auf der Rückbank einige Fehler, die das Spiel noch hat. In einem wuchernden Waldstück im Golden Gate Park setzt sie sich für den Fotografen auf einen Baumstrunk. Schwab – langhaarig, unauffällig gekleidet, heller Teint – sieht etwas fremd aus in dieser Umgebung, so wie jemand eben aussieht, der mindestens zwölf Stunden pro Tag am Computer verbringt. Sie fühle sich aber wohl in der Natur und habe sich schon immer für Biologie interessiert. Und für Video-Games, die sie auch spielte, weil sie in der Schule oft alleine war, wie sie sagt: «Der Alltag ist doch immer gleich. In den Games dagegen erlebt man immer wieder etwas Neues.» Mit «Niche» habe sie schliesslich eine Brücke zwischen ihren vielen Interessen schlagen können. «Games entwickeln war eine Art, mit der Welt in Kontakt zu treten», sagt sie noch, als wir bereits wieder aufbrechen.
Aufgewachsen ist Schwab in einer Grossfamilie in Schwamendingen, ihre Eltern tauften sie auf den sagenhaften und ihren Hang zur Fantasy vorwegnehmenden Namen: Philomena Naomi Om-Chanti Cosma Ruben Rahel Anastasia Schwab. War damit alles vorbestimmt? Ihre Kollegin verneint: «Schwab weiss vor allem, wie man ein Team managt, wie man sich durchsetzt, wie Pressearbeit geht, und sie hat einen angenehmen Umgang mit Team und Usern. Sie ist ein Profi und kann eigentlich alles.»
Moscone Park
Man trifft das «Team Niche» immer im Verbund. Es sind bereits zahlreiche Aussteller vor Ort, an den Food-Ständen bilden sich lange Schlangen. Die Dimension der Messe wird jetzt schon spürbar. Bald sitzt man auf diesem Grün inmitten von Hochhäusern und redet – ja, über was eigentlich? Der Schreiber versteht beinahe nichts. Er muss nachhaken. Schwabs Spezialgebiet ist «Community- Building». Dazu hat sie ihre Masterarbeit verfasst, das lebt sie auch im Alltag. In den Foren rund um ihr Game etwa diskutiert sie täglich mit, nimmt Vorschläge entgegen, um diese ins Spiel zu integrieren. «Je mehr die User mitgestalten können, umso mehr setzen sie sich ein», sagt sie. Kein Internetpessimismus, sondern «The Us State» – das Wir-Gefühl, so der zentrale Begriff in Schwabs Masterarbeit. Der gilt auch für ihr näheres Umfeld. Sie sagt: «Von jedem im Team steckt so viel im Game, dass er ‹Niche› auch als sein Produkt ansieht.» Schwab entscheidet, die anderen folgen ihr. Ihre Aussagen verweisen aber auch auf eine Mentalität, die in der Indie-Game-Szene vorherrscht: Künstlerische Freiheit ist wichtiger als das grosse Geld, Kreativität mehr wert als Businesspläne. Schwab sagt: «Der Konkurrenzdruck ist zwar riesig, trotzdem unterstützt man sich in der Szene gewaltig. Eigentlich erstaunlich.»
Moscone Center North
Das Team ist übernächtigt, als es seinen Stand bei der Schweizer Delegation im monumentalen Moscone Center einnimmt. Am Abend zuvor war die Gruppe bei einem sogenannten Game-Karaoke. Es laufen dort Hits mit Texten aus Games. «Eine Nerd-Sache», sagt Schwab. Nichts für Nichteingeweihte. Die GDC Play ist so etwas wie der massierte kreative Anhang einer Industrie, die jährlich doppelt so viel Umsatz macht wie die Filmindustrie. An der Messe drängen sich bald Tausende durch die schmalen Reihen, an denen die Aussteller ihre Werke präsentieren. Der Schreibende fühlt bald den Reiz-Overkill – für die Messebesucher ist die Reizüberflutung offensichtlich kein Problem. Schwabs Stand liegt am oberen Ende der in Rot gehaltenen Schweizer Zone. Schon nach einem Tag haben sie und ihr Team einen 10 Zentimeter dicken Stapel an Visitenkarten gesammelt. Darunter zwar keine grossen Fische, aber Hunderte Interessierte. Einige Besucher bleiben sitzen und spielen «Niche». Schwab setzt sich dazu, erklärt, wenn nötig, die Grundlagen. Geduld passt auch zu einem Game, in dem alles angenehm langsam vorangeht. Der Spieler bewegt die Tiere Schritt für Schritt, man wechselt die angestammte Umgebung, paart sich. Und nach 20 Tagen stirbt jedes Tier. «Es ist eine Art Meditation», sagt ein Spieler.
Moscone Center South
Etwa 5000 Leute warten in der mit grellen Lichtern und grossen Screens ausgestatteten Halle auf die Preisverleihung. IGF Awards, die Oscars für Indie-Games. Für eine Gala-Show sind die Leute auffällig unauffällig gekleidet. Auch die Dankesreden sind kurz und sympathisch. Was an Glamour an der Gala fehlt, steckt an Kreativität in den Games. Dies zeigt alleine schon ein Blick ins Gewinnerfeld: eine Graphic Novel über sexuelle Manipulation, eine Hundeoper in fünf Akten, die Geschichte eines Froschs, der Ballett lernen möchte. Und von einem Zürcher Team ist das Spiel «Far: Lone Sails» nominiert, darin kurvt ein mit Dampf betriebenes Irgendwas durch eine postapokalyptische Welt. Kurz: Diese geballte Fülle an Ideen ist enorm. Nur die Witze in den eingespielten Videos versteht der Schreiber nicht. Interessant dagegen war: Beim Vorstellen der Spiele gab es keine Angaben zur Herkunft der Hersteller. Nationalität spielt hier offenbar keine Rolle.
Little Italy
Man ist geneigt, Schwab und die Game-Entwickler zu idealisieren. Zum Beispiel so: Es sind junge Menschen, die beseelt sind von einer Idee, der sie ihre ganze Zeit und ihre Gesundheit opfern. In ihren Gesprächen geht es um Philosophie, um Design, um Technik, um Poesie, um Freundschaft, Ökonomie und Wissenschaft – und schliesslich: um Spass. Oder anders gesagt: um alles, was zählt. Die perfekten Alleskönner?
Mission District
Die Messe ist zu Ende, die Delegation fährt zum Essen ins Mission District. Es zeigt sich hier noch ein anderes Gesicht jener Frau, die jetzt fünf Tage lang ihre Rolle als aufstrebende Game-Entwicklerin wahrgenommen hat, von Stand zu Stand huschte, Hände schüttelte und von Referat zu Referat tingelte. Sie sagt: «Extrovertiertheit habe ich mir antrainieren müssen. Ich freue mich nun darauf, mich ein paar Tage unter die Bettdecke zu verkriechen.»
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