Landesstreik für alle, aber ohne Blocher
In Olten kommt der Streik von 1918 auf die Bühne. Mit hundert Laiendarstellern.

Nein, Christoph Blocher wird nicht mit dabei sein, wenn am Donnerstagabend beim Oltner Bahnhof das Bühnenstück zum Landesstreik zur Premiere kommt. Erinnert wird damit an den Generalstreik von 1918, an dem 250'000 Arbeiter beteiligt waren – und der als Wendepunkt im sozialen Fortschritt gilt. Und dies, obwohl der Streik niedergeschlagen wurde, letztlich scheiterte. Die AHV, die Beschränkung der Arbeitszeit, die Proporzwahl, ja, selbst das Frauenstimmrecht werden auf den Landesstreik zurückgeführt.
Anders sieht das Christoph Blocher: Der Streik vom November 1918 sei «die grösste Krise» der Schweiz gewesen, schreibt er in der «Weltwoche». Anführer Robert Grimm habe «den revolutionären, bewaffneten Umsturz!» zum Ziel gehabt. Wenn ihm dieser «nach sowjetischem Vorbild gelungen wäre, hätte auch die Schweiz Diktatur, Terror, Massenmord, Verarmung» erlebt. Wenn, wäre, hätte: Blocher wird für seine Streik-Spekulationen von Historikern heftig kritisiert.
«Blocher kann schreiben, was er will», sagt Liliana Heimberg, die Regie führt beim Monsterprojekt in Olten. Vor fünf Jahren wurde es angegangen, nun werden bis Ende September jeweils hundert Darsteller auf der Bühne sein, grösstenteils Laien, die zuvor noch nie Theater spielten. Erwartet werden insgesamt gut 10'000 Zuschauer.
Kein linkes Geschichtsspektakel beim Oltner Bahnhof
Ein linkes Geschichtsspektakel sei es nicht, was unter dem Gebälk der alten Oltner Hauptwerkstätte gezeigt wird. «Wir haben mit einem Dutzend Historikern zusammengearbeitet, beziehen uns auf die jüngsten Studien zum Streik, halten uns an die Fakten», erklärt Heimberg. Also eine Dokumenten-Collage? «Ja, aber wir haben stark darauf geachtet, dass bei uns Leute gehört werden, die in den Geschichtsbüchern nicht oder nur am Rande vorkommen.» Es haben also nicht nur der Arbeiteranführer Robert Grimm, General Ulrich Wille und Vertreter der Regierung einen Auftritt. Auch Frauen, deren Leistungen kaum bekannt sind, werden mit dabei sein. Sichtbar werde so eine «weibliche Art des Wehrens», so die Regisseurin.
Eine der Streikprotagonisten war Anna Vogt aus Bettlach SO, deren Mann beim Militäreinsatz gegen die Streikenden angeschossen wurde und später an den Folgen der Verletzung starb. «Vogt korrespondierte zwei Jahre lang mit dem Bundesrat, um eine Rente zu erhalten.»
Ein feministisches Stück dürfe man nicht erwarten. «Wir beanspruchen keine Deutungshoheit», sagt Heimberg, «wir zeigen bürgerliche wie linke Positionen», auch die Unentschiedenen fehlten nicht. «Mein Ziel ist es, dass wir aus dem vereinfachenden, auch falschen Links-rechts-Schema rauskommen, das der Wirklichkeit in keinster Weise gerecht wird.»
Zur Zeit des Streiks sei die Gesellschaft «gespalten und voller Widersprüche» gewesen. «Wie heute. Um die Polarisierung, die Ambivalenzen und Kippmomente deutlich zu machen, setzen wir auf grosse szenische Bilder und Bewegungschoreografien. Der Landesstreik war ja auch eine Bewegung, die alle in unterschiedlicher Weise betroffen hat», sagt Heimberg. Nicht zuletzt deshalb hat man Theatergruppen aus der ganzen Schweiz angefragt, damit sie regionale Aspekte des Streiks zeigen, etwa die Milchsperren im Thurgau, die Versammlung auf der Place St. François in Lausanne. Oder die Rolle der Bürgerwehren aus dem Aargau, die für den Erhalt der Ordnung kämpften. All das, damit die Botschaft des Stücks ankommt: «dass es eine Vielfalt der Perspektiven auf den Landesstreik gibt».
Obwohl die Finanzierung gesichert ist, wirkt es ein wenig so, als wolle man es allen recht machen, niemanden verprellen. Nur einen wird man damit als Zuschauer nicht gewinnen: Christoph Blocher. «Weil mir dazu die Zeit fehlt.» Er will sich aber «nachträglich» über das Stück informieren – und im November mit einem Vortrag wieder die Diskurshoheit erringen. Dann im Kampf gegen die heutige politische Linke, die den Streik ebenso für die eigenen Zwecke instrumentalisieren will.
Theater: «1918.ch. 100 Jahre Landesstreik», ab 16. August
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