«Lasst euch nicht von einem Tyrannen versklaven»
Mindestens fünf Menschen sind bei erneuten Demonstrationen in Syrien ums Leben gekommen. Zum ersten Mal mischte sich die im Land verbotene Muslimbruderschaft unter die Protestierenden.

In der syrischen Hafenstadt Latakia haben Regierungssoldatenerneut des Feuer auf Demonstranten eröffnet. Wie Augenzeugen berichteten, wurden mindestens fünf Menschen verletzt. Den Angaben zufolge hatten sich trotz des zunehmend gewaltsamen Vorgehens des Regimes von Präsident Baschar Assad etwa 1000 Menschen zu einer Kundgebung versammelt. Auch in den Städten Banias, Kamischli und Rakka, sowie in der Hauptstadt Damaskus soll es erneut zu Protesten gekommen sein.
Syrische Aktivisten hatten zu einem «Tag der Wut» mit umfassenden Protesten nach den Freitagsgebeten aufgerufen. Der Aufruf wurde erstmals auch von der seit 1982 im Land verbotenen Muslimbruderschaft unterstützt. «Ihr wurdet frei geboren, also lasst euch nicht von einem Tyrannen versklaven», hiess es am Freitag in einer Stellungnahme der im Exil lebenden Anführer der Organisation.
Bisher 112 Menschen getötet
«Die Menschen wollen den Sturz des Regimes», sagte ein Aktivist in der Stadt Banias. Die Regierung hingegen warnte vor weiteren Protesten. Im syrischen Staatsfernsehen hiess es, das Innenministerium habe keine «Märsche, Demonstrationen, oder Sitzstreiks» genehmigt, und derartige Aktionen seien nur dazu gedacht, die Sicherheit und die Stabilität des Landes zu gefährden.
Bei der Niederschlagung von Demonstrationen am Freitag vor einer Woche waren in mehreren Städten des Landes insgesamt 112 Menschen getötet worden. Vor allem in der südlichen Grenzstadt Daraa ist das Regime von Präsident Assad auch im Laufe der Woche immer wieder mit brutaler Gewalt gegen Regierungskritiker vorgegangen.
Kämpfe zwischen Einheiten der Streitkräfte
Berichten zufolge ist es in Daraa aber auch zu Zusammenstössen zwischen einzelnen syrischen Militäreinheiten gekommen. Einige Bataillone hätten sich geweigert, auf die Menschen zu schiessen, sagte der im Exil lebende Oppositionspolitiker Aussama Monadsched unter Berufung auf Augenzeugen. «Bataillone der Fünften Division schützten Menschen und erwiderten das Feuer, als sie von der Vierten Division angegriffen wurden», sagte er.
Die Vierte Division untersteht dem Bruder des Präsidenten, Maher. Die Fünfte Division setzt sich überwiegend aus Wehrpflichtigen zusammen, die den Einwohnern nahestehen. Am Montag liess Assad Heereseinheiten in der südsyrischen Stadt einen Grosseinsatz starten. Zwei Augenzeugen und ein Aktivist, die von der Nachrichtenagentur AP telefonisch erreicht wurden, bestätigten die Berichte über Kämpfe zwischen syrischen Truppen. Sie hätten mehrere Stunden gedauert.
Menschenrechtsrat fordert Aufklärung
In Genf war für heute ein Sondertreffen des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Syrien anberaumt worden. Erörtert werden sollten mögliche Menschenrechtsverletzungen und der Tod von rund 400 Menschen bei den Protesten im Land. Vertreter Europas und der USA wollten das Gremium auffordern, eine Untersuchung zu den Vorgängen einzuleiten. Diplomaten aus China, Russland, Nigeria und Pakistan erklärten hingegen, jegliche Massnahmen des Rates könnten als Einmischung in innere Angelegenheiten interpretiert werden.
Angesichts der bisher fehlenden Einigung im UN-Sicherheitsrat auf eine gemeinsame Erklärung zur Verurteilung der Gewalt in Syrien sagte Aussenminister Guido Westerwelle am Freitag, er werde sich auf europäischer Ebene für Sanktionen gegen das Land einsetzen. «Diese Gewalttaten gegen eigene Staatsangehörige durch das syrische Regime sind nicht akzeptabel und werden von uns in aller Schärfe verurteilt», sagte Westerwelle im ARD-«Morgenmagazin». Wenn die Politik des syrischen Präsidenten fortgesetzt werde, dann müsse die Völkergemeinschaft entsprechend reagieren.
Syrien plante laut IAEA heimlichen Reaktorbau
Ein Hinweis darauf, wie mögliche Massnahmen des UN-Sicherheitsrats begründet werden könnten, zeichnete sich am Donnerstag in einer Äusserung des Leiters der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ab. Ein vor fünf Jahren von israelischen Flugzeugen zerstörtes Ziel «war ein Reaktor im Bau», sagte IAEA-Chef Yukiya Amano. Syrien hatte bestritten, dass das bombardierte Gebäude für atomare Zwecke vorgesehen war. Frühere IAEA-Berichte hatten bereits nahe gelegt, dass es sich bei dem Gebäude um einen Reaktor gehandelt haben könnte, dies aber bisher nie offiziell bestätigt.
Unterdessen teilte der zyprische Aussenminister Markos Kyprianou mit, sein Land bereite sich auf eine möglicherweise bevorstehende Flüchtlingswelle aus Syrien vor. Am Rande eines informellen Treffens mit seinen Kollegen aus Griechenland, Israel, Malta und Bulgarien forderte er die EU auf, die südlichen Länder der Union bei der Aufnahme von Migranten zu unterstützen.
sda/dapd/pbe/miw
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