«Diese alte Schokolade ist etwas ganz Neues»
Die Firma Felchlin schenkt sich zum 100-Jahr-Jubiläum eine Reedition der ersten Schokolade des Hauses. Aus Neugier, sagt der Chef Christian Aschwanden.

Herr Aschwanden, Ihre Centenario-Schokoladen schmecken wie die erste Felchlin-Schokolade vor 100 Jahren. Warum dieser Ausflug in die Vergangenheit? Aus Neugier. Wir wollten wissen, wie die Schokolade schmeckte, bevor das Conchieren erfunden wurde. Dieses Verfahren mit einem Rührwerk, das der Schokolade den zartschmelzenden Geschmack verleiht, ist übrigens eine Schweizer Erfindung. Es war ein riesiger Entwicklungsschritt in der Produktion und hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Schweizer Schokolade weltweit so beliebt ist.
Was ist das Besondere an Centenario? Wir haben drei hochwertige Kakaobohnen aus Ecuador, Venezuela und Bolivien zusammengefügt. Diese Basis wurde auf zwei verschiedene Arten verarbeitet: Die Bohnen für die Centenario Crudo wurden auf einem Mahlstein verarbeitet, das ist die einfachste Form der Schokoladenproduktion. Das Resultat ist eine gröbere Struktur, die beim Essen knistert. Die Centenario Concha wurde 48 Stunden lang in die Längsreiber-Conche gegeben, so erhält sie die feinere Konsistenz und mehr Geschmacksnuancen.
Wie reagieren Ihre Kunden? Begeistert. Vor allem die Crudo mit ihrer gröberen Konstistenz kam besonders gut an. Vielleicht liegt dies auch daran, dass der Mensch immer wieder nach neuen Geschmackserlebnissen sucht. Diese alte Schokolade ist etwas ganz Neues.
Wie hat sich der Geschmack der Schokolade während der letzten 100 Jahre verändert? Der Geschmack ist weniger intensiv geworden. Das hat in erster Linie mit dem enormen Anstieg der Masse zu tun. Vor hundert Jahren wurden weltweit 120 000 Tonnen produziert, heute sind es drei Millionen. Diese Mengen verändern alle Stationen des Produktionsprozesses, auch die Landwirtschaft. Heute stammt über 70 Prozent der Kakaoproduktion nicht mehr aus Südamerika, sondern aus dem weitgehend uniformierten Anbau in Afrika.
Warum diese Verlagerung? Südamerika ist zwar das traditionelle Kakaoland, gilt aber als schwieriges Terrain. Die Plantagen wurden häufig von Krankheiten befallen, die Transportwege zu den Häfen sind beschwerlich. Solche Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich der Anbau zusehends auf Afrika verschoben hat, wo der Anbau von Kakao zudem staatlich gefördert wird.
Hat diese Umverteilung einen Einfluss auf den Geschmack? Absolut. Kakao ist wie Wein. Wenn er sorgfältig produziert wird, schmeckt man seine Herkunft im Gaumen. Wenn 70 Prozent die gleiche Sorte sind und aus demselben Gebiet stammen, zieht das unweigerlich eine Uniformierung des Geschmackes nach sich.
Trotzdem gibt es eine grosse Vielfalt an Schokoladen. Eigentlich nicht. Der grösste Unterschied zwischen den einzelnen Produkten liegt in der Verpackung und in der Art und Weise, wie sie verkauft werden. Man erfindet neue Namen, neue Formen, ein neues Design, um sich abzuheben. Äusserlich sieht es nach grosser Diversität aus, während geschmacklich das grosse Einerlei herrscht. Der moderne Konsument will alles, und das möglichst billig und schön verpackt – und das bietet man ihm.
Woher beziehen Sie Ihren Kakao? Vorwiegend von Kooperativen und Haciendas in Mittel- und Südamerika, die kleine Mengen von qualitativ hochstehendem Kakao produzieren. Meiner Meinung nach liegt im authentischen Geschmack das grösste Innovationspotenzial. Das ist die Nische, die wir ausfüllen.
Zurzeit sind Schokoladen mit hohem Kakaogehalt sehr beliebt. Warum? Die Menschen suchen vermehrt den authentischen Geschmack. Mit einem Anteil ab 65 Prozent Kakao schmeckt eine Schokolade intensiv und weist zudem weniger Zucker auf als herkömmliche Produkte.
Ist der Geschmack umso besser, je höher der Kakaoanteil ist? Über 75 Prozent wirds schwierig, der Geschmack wird bitter, der Genuss bleibt auf der Strecke.
Was halten Sie vom Trend, Schokolade mit Gewürzen anzureichern? Es ist eine interessante Kombination, nicht zuletzt, weil Kakao auch ein Gewürz ist. Ich habe sehr unterschiedliche Produkte probiert. Die einen haben mich begeistert, andere fand ich etwas simple Marketinggags, bei denen das Gewürz, zum Beispiel Chili, den Kakao völlig verdrängte.
Was war falsch? Der verwendete Kakao. Wenn er nach nichts schmeckt, wird er auch nicht interessanter, wenn man Gewürze beimischt. Nimmt man hingegen einen guten Kakao und reichert diesen subtil an, entsteht ein schöner Blumenstrauss, bei dem jeder einzelne Geschmack zur Geltung kommt.
Ihre Firma setzt auf Tradition. Entwickeln Sie auch neue Produkte? Vor zehn Jahren haben wir entschieden, nicht weiter zu wachsen, sondern uns auf unsere Tradition zu konzentrieren. Ein neues Produkt fängt für uns bei der Auswahl des Kakaos an. Herkunft und Sorte sind wichtige Faktoren bei der Herstellung. Wir investieren viel in die Suche nach guten Produzenten. In den letzten Jahren haben wir zum Beispiel verschiedene kleine Produzenten im Amazonasgebiet gefunden, die sehr unterschiedlich schmeckende Bohnen kultivieren.
Und so entstehen die neuen Kreationen? Wir produzieren ja keine Konsumentenprodukte, sondern liefern an Confiseure und Chocolatiers, die unsere Schokolade weiterverarbeiten. Wir sind ständig daran, Neues zu versuchen. Manchmal hat ein Kunde eine Idee, manchmal wollen wir unbedingt etwas ausprobieren.
Wie muss man sich das vorstellen? Wir haben einen amerikanischen Kunden, der einen Fonds verwaltet mit dem Ziel, den Regenwald aufzuforsten, und dazu gehören Kakaobäume. Er bat uns um Rat. Zusammen haben wir Plantagen im Kongo und in Südamerika aufgebaut. Als die erste Ernte reif war, fragte er uns an, ob wir bereit wären, mit ihm eine besondere Schokoladenlinie zu kreieren. Mit unserer Entwicklungsabteilung hat er vier oder fünf Produkte ausgetüftelt, eines davon mit Fleur de Sel. Die Linie ist in Amerika sehr erfolgreich gestartet, auch wenn sie nicht billig ist. Denn die Schokolade ist nicht nur gut, sondern auch mit Rücksicht auf die Ökologie produziert worden, dies findet Anklang. Viel öfter müssen wir aber für ein Biskuit eine neue Füllung oder für eine Torte eine besondere Kuvertüre entwickeln.
Der Mensch wird immer Schokolade essen, Ihre Branche hat keine Sorgen. Jedenfalls nicht wegen mangelnder Konsumenten! Die Branche befürchtet eher, dass der Kakao knapp werden könnte. Deshalb werden nun auch in Asien Plantagen angebaut. Man darf aber nicht vergessen, dass Schokolade ein Genussmittel und kein Grundnahrungsmittel ist. Man sollte sich lieber wenig, dafür aber ein gutes Produkt leisten. Damit tut man sich nicht nur selber etwas Gutes, sondern trägt auch zum Überleben von kleinen Plantagen bei.
Wie wird sich die Schokolade geschmacklich weiterentwickeln? Ich hoffe, dass die Geschmacksvielfalt wieder mehr zum Tragen kommt. Denn eine andere Entwicklung kann ich mir nicht vorstellen.
Werden die Abholzung des Regenwaldes und der Klimawandel einen Einfluss auf den Schokoladenmarkt haben? Ich glaube nicht. Kakao ist zwar ein Schattengewächs, es ist aber sehr resistent und wächst auch an der Sonne. Wir werden immer Kakao haben, er wird einfach anders, langweiliger schmecken.
Christian Aschwanden leitet den Schwyzer Schokoladenhersteller Felchlin. Dessen Produkte gibt es bei gut sortierten Confiserien und Chocolatiers.
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