Ein Platzspitzbaby erzählt
Ende der 80er-Jahre verwandelte sich Zürichs idyllischer Platzspitz in eine Drogenhölle. Mittendrin war meine Mutter – als Kind erlebte ich ihre Selbstzerstörung aus nächster Nähe.
Bald verbrachte ich die Tage mehrheitlich auf mich allein gestellt. Papas Idee, mich auf die Baustelle mitzunehmen und in den Unterkünften der Arbeiter unterzubringen, erwies sich nicht als dauerhafte Lösung, und manche Fragen forderten Antworten, die er nicht geben konnte: Wo ist deine Frau?
Nach wochenlanger Abwesenheit kehrte sie jeweils in desolatem Zustand zurück, den ich nicht zu deuten wusste, der für mich aber nichts mehr mit meiner Mutter zu tun hatte. Trotzdem liebte ich sie weiterhin und geriet – wie ich im Nachhinein sagen muss – in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis, blieb ihren Manipulationen, den Drohungen, der Vernachlässigung machtlos ausgeliefert. Jahrelang glaubte ich, die Hauptschuld an einem Unglück zu tragen, von dem ich nicht wusste, ob es tatsächlich existiert, und hätte ich den Verrat begangen und meinen Kummer hinausgeschrien: Der Preis für mein Wohlergehen wäre der Tod derjenigen gewesen, die mich geboren hatte.