«Liebeskommandos» retten indische Paare
In Indien bestimmt noch immer das Kastensystem die Partnerwahl. Wer sich über religiöse, soziale oder ökonomische Grenzen hinweg verliebt, bringt sich in Gefahr. Hilfe verspricht die Hotline für verbotene Paare.

Es klingelt nur zweimal, dann meldet sich eine tiefe, barsche Stimme: «Liebeskommandos?» Diese Telefonnummer ist die Rettungsleine für Tausende junge Paare in Indien, die verzweifelt nach Hilfe suchen.
Es sind Indiens Romeos und Julias, die die Grenzen von Religionen, Kasten, Gemeinschaften oder ökonomischen Klassen übertreten – und dafür von ihren Familien drangsaliert werden. Oder sogar um ihr Leben fürchten müssen.
Der Mann am Ende der Leitung ist Harsh Malhotra, Koordinator der Liebeskommandos. Die Hilfsorganisation wurde vor drei Jahren in der Hauptstadt Delhi gegründet, seitdem hat sie nach eigenen Angaben schon etwa 25'000 Paaren im ganzen Land geholfen.
Schutzräume statt Flitterwochenhotel
«Sie rufen uns an. Wir geben ihnen Sicherheit, einen Unterschlupf, Rechtshilfe. Manchmal müssen wir sie retten, wenn sie von ihren Eltern eingesperrt wurden. Die Polizei hilft uns dabei», sagt Malhotra.
Einer der geheimen Schutzräume liegt mitten im Strassengewirr von Alt-Delhi. Dort, wo ein Mann auf einem Holzkarren Blechgeschirr verkauft, geht es in eine Seitengasse ab, dann vorbei an einem Strassenhund, der in einem Müllhaufen schläft, unter unzähligen Stromkabeln und Wäscheleinen durch, bis zu einer Tür aus Wellblech.
Im Dunkel dahinter sitzen der 28-jährige Bhaskar und die 22-jährige Puja auf einer Matratze. Ihre Habseligkeiten haben sie neben sich in Beuteln und Taschen aufgeschichtet.
Die beiden kommen aus gut situierten Mittelschichtsfamilien. Das Leben in der Unterkunft ist nicht einfach für sie, ohne fliessendes Wasser und mit einer Maus, die unter dem Bett lebt. «Das ist ein Schutzraum, kein Flitterwochenhotel», sagt Bhaskar, und beide lächeln.
Liebe auf den ersten Blick
Gerade kehrten sie von einem Gericht zurück, wo Puja ein offizielles Dokument unterschrieben hat, dass sie Bhaskar aus freien Stücken heiratete. Das wollen sie ihren Eltern schicken.
Bhaskar war Finanzberater in Mumbai, Puja lebte 2000 Kilometer entfernt bei ihren Eltern in Kalkutta, als sie sich auf einer Hochzeit im nordindischen Varanasi trafen. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, sagt Puja.
«Drei Jahre lang telefonierten wir vor allem, wir trafen uns nur dreimal», sagt Bhaskar. Als sie die Beziehung ihren Eltern offenbarten, hörten sie beide: «Nein!» Denn Bhaskar gehört zur Kaste der Brahmanen, Puja ist eine Rajput.
Arrangierte Ehen sind noch immer die Regel
«Meine Familie arrangierte eine Ehe mit einem anderen Mädchen», sagt Bhaskar. «Fünf Tage vor der Hochzeit stieg ich in das Flugzeug nach Kalkutta, wartete zwei Tage, bis Puja entkommen konnte, und dann kamen wir direkt hierher.» Wenige Stunden nach ihrer Ankunft waren sie mit der Hilfe der Liebeskommandos verheiratet.
«Dieses Kastensystem ist ein Fluch», schimpft Malhotra. «Unsere Verfassung garantiert freie Partnerwahl.» Aber es sei bislang nicht gelungen, durch Gleichheitsgesetze die streng getrennte Gesellschaftsordnung des mehr als 3000 Jahre alten Kastensystems zu überwinden.
Noch immer sind arrangierte Ehen die Regel in Indien. Die Eltern achten peinlich genau auf die richtige Kaste, die Hautfarbe, den Ruf der Familie und das passende Horoskop. Wer sich gegen die Tradition stelle, müsse mitunter mit dem Schlimmsten rechnen, sagt Malhotra.
Einst boten die Liebeskommandos Abdul Hakim Schutz, einem 29 Jahre alten Bankangestellten, der mit seiner Geliebten in einen Unterschlupf kam. «Abdul und Mehwish lebten ein Jahr lang mit uns. Ihr Kind wurde hier geboren», sagt Malhotra.
Als der junge Mann dachte, die Wogen hätten sich geglättet, sei er zurück in sein Dorf im Bundesstaat Uttar Pradesh gegangen, um seine kranke Mutter zu besuchen. Malhotra schaut lange auf das Bild des jungen Mannes, das er auf seinem Bildschirm aufgerufen hat. «Dort wurde er von der Familie seiner Frau umgebracht.»
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