Schüler an die Schirme!
Primarschüler brauchen keine Tablets im Unterricht? Diese Forderung ist ängstlich und zu einfach. Eine Replik.

Keine Bildschirme mehr in der Primarschule: Diese Forderung wurde vor ein paar Tagen auf Redaktion Tamedia gemacht. Es war eine Reaktion auf den Wirtschaftsverband Economiesuisse, der glaubt, dass dank Computern und Tablets im Bildungsbereich eine grosse Revolution bevorstehe. Dem Autor war dies ein Gräuel, weil die Digitalisierung ohnehin bald jeden Lebensbereich erfasse und die Kinder den Umgang mit Tablets und Computern auch so lernten. Ausserdem sei der Nutzen von digitalen Lehrmitteln zweifelhaft und die Digitalisierung an sich eine Bedrohung. Vereinsamung! Social-Media-Stress! Optimierungswahn!
Mit Verlaub: Das ist zu ängstlich und auch zu einfach gedacht. Auf genauso bequeme Weise könnte man einwenden, dass die Gesellschaft technologische Erneuerungen schon immer mit Skepsis aufnahm, bevor sie dann alltäglich und letztlich unverzichtbar wurden. Doch plakative Grundsatzdebatten wie «Was ist besser: Spielen im Wald oder am Computer?» bringen einen bei der unaufhaltsamen Digitalisierung nicht weiter, genauso wenig, wie die Frage nach der Berechtigung von Computern und Tablets in der Schule mit Ja oder Nein zu beantworten ist.
Und wieso sollte ausgerechnet die Schule von elektronischen Geräten zwangsbefreit werden? Wäre es nicht eher die Aufgabe der Eltern, zu Hause für digitale Ruhepausen zu sorgen? Nicht «möglichst wenig» sollte in den Schulen das Digital-Motto sein, sondern «möglichst klug». In Anlehnung an den besagten Anti-Tablet-Artikel seien hier fünf Einsatzmöglichkeiten und Gründe genannt, wieso Bildschirme im Unterricht sinnvoll sind:
- Entgegen den Befürchtungen vieler Eltern verbringen Tablet-Schüler nicht mehr Zeit mit Computerspielen, wie eine in der Schweiz durchgeführte Studie 2016 ergab. Aber sie haben mehr Spass beim Lernen und suchen privat häufiger im Internet nach Informationen für Schulaufgaben.
- Tablets ermöglichen Unterricht mit Videos. Da geht es notabene nicht um Bespassung, sondern um das Erlernen einer Kulturtechnik. Alltag, Kunst und Unterhaltung sind nicht mehr ohne Video vorzustellen. Und Medienkompetenz sollte nicht nur das Bedienen von Geräten vorsehen, sondern auch handlungsorientiert sein.
- Bei Testaufgaben können die Geräte individuelle Rückmeldungen geben, den Schülern also zeigen, wo sie noch Schwächen haben. Oder sie liefern massgeschneiderte Übungen. In den USA gibt es ein Mathematikprogramm, bei dem jeder Schüler regelmässig ein individuelles Lernprogramm bekommt – davon abhängig, wie er sich zuvor geschlagen hat. Dasselbe erreicht ein Lehrer nur mit viel Zeitaufwand. Ist das kaltes Effizienzdenken? Nicht, wenn die gewonnene Zeit in andere, humanistische Projekte investiert wird.
- Auch das vermeintliche Killer-Argument, dass Silicon-Valley-Grössen ihre Kinder in Montessori-Schulen schicken, wo Spiel und Kreativität gefördert wird, greift zu kurz: Ebendiese Tech-Gurus fordern von den Montesorri-Schulen Coding-Unterricht. Und dieser lässt sich schlecht ohne Bildschirme durchführen. Dazu gleich ein Vorschlag für hiesige Gymnasien: Wieso nicht den Lateinunterricht, der vermeintlich das logische Denken fördern soll, zugunsten von Coding-Klassen aufweichen?
- Digitale Aufgaben erleichtern die elterliche Kontrolle, wie jeder weiss, der Kinder in der Primarschule hat und den Überblick bei Arbeits- und Reinheften, Büchern und losen Blättern schon lange verloren hat.
Es gäbe noch viele weitere vernünftige Gründe für den Einsatz von Tablets & Co., genauso wie es gute Gründe für Papier und Zirkel gibt. Dass das Wohl der Kinder und ihrer kognitiven Entwicklung nicht vor lauter Tech-Begeisterung aus den Augen verloren gehen darf, ist für die meisten Pädagogen selbstverständlich – und der Unterricht an Schweizer Schulen denn auch weit davon entfernt, durchdigitalisiert zu sein. Vielmehr wird angestrebt, was einem auch der gesunde Menschenverstand sagt: eine Mischung aus Wandtafel und Computer.
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