Lebenslang für Erdogans Rivalen
Entscheidung im türkischen Jahrhundertprozess Ergenekon: Mehrere ranghohe Ex-Armeeangehörige sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Der Vorwurf: Die Vorbereitung eines Staatsstreiches.

Fünf Jahre, Hunderte von Angeklagten: Der sogenannte Ergenekon-Prozess um angebliche Putschpläne gegen die Regierung hat die Türkei aufgewühlt. Nun kamen die Schuldsprüche. Doch bei einigen Beobachtern bleibt Skepsis.
Wegen angeblicher Putschpläne des Geheimbunds Ergenekon in der Türkei ist der frühere Armeechef Ilker Basbug zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Mindestens 16 mutmassliche Komplizen erhielten in dem spektakulären Massenprozess am Montag ebenfalls lebenslange Haftstrafen, 60 weitere wurden zu bis zu 47 Jahren Gefängnis verurteilt. Mindestens 21 der insgesamt rund 275 Angeklagten wurden freigesprochen, wie türkische Medien berichteten.
Angeklagte bestreiten die Vorwürfe
Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sich zu dem ultranationalistischen Netzwerk Ergenekon zusammengetan und den Sturz der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant zu haben. Beteiligt gewesen sein sollen hohe Militärs, Politiker und Journalisten. Mittels Terrorakten wollten sie angeblich versuchen, das Land zu destabilisieren, um einer Machtübernahme des Militärs den Weg zu bahnen. Gegen Erdogan, den Nobelpreisträger Orhan Pamuk und andere Personen des öffentlichen Lebens soll es Mordpläne gegeben haben. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe.
Ihr Prozess dauerte fünf Jahre und riss eine tiefe Kluft zwischen der weltlichen Elite der Türkei und Erdogans islamisch geprägter Regierung. Kritiker vermuten politische Motive für das Verfahren und werfen der Regierung vor, die säkulare Opposition mundtot machen zu wollen. Am Tag der Urteilsverkündung in Silivri westlich von Istanbul blockte die Polizei einige Hundert Demonstranten ab, die am Gerichtsgebäude ihre Solidarität mit den Beschuldigten bekunden wollten.
Die Anklage hatte Tausende von Seiten mit Vorwürfen zu Gewaltakten zusammengetragen, die der Gruppe zugeschrieben werden. Darunter soll ein Anschlag auf ein Gericht 2006 sein, bei dem ein Richter getötet wurde. Diese und andere Taten sollten demnach Islamisten in die Schuhe geschoben werden, um eine Militärintervention zu rechtfertigen.
Gründer der Uni Ankara verurteilt
Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt für 64 Angeklagte wegen Terrorismus-Vorwürfen lebenslange Haft gefordert. Darüber hinaus wurden einzelnen Beschuldigten Delikte wie unrechtmässiger Waffenbesitz oder auch nur die Mitgliedschaft bei Ergenekon zur Last gelegt.
Unter den Verurteilten sind auch Mehmet Haberal, Gründer einer Universität in Ankara, und der Zeitungsverleger Mustafa Balbay. Beide Männer waren 2011, als sie bereits in Haft sassen, ins Parlament gewählt worden, konnten ihre Mandate aber nicht wahrnehmen. Der Journalist Tuncay Özkan, der 2007 Proteste gegen die Regierung organisierte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Seit der Gründung der türkischen Republik 1923 hatte das Militär immer wieder geputscht. Erdogan ist es durch den Ergenekon-Prozess nach Ansicht von Beobachtern gelungen, den Einfluss der Armee zurückzudrängen und die zivile Kontrolle über das Land abzusichern.
AP/bru
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