Leiden am Paradies
Die Warnungen zur Entwicklung der Schweizer Wirtschaft mehren sich in den letzten Tagen. Besonders der Immobilienmarkt weckt Ängste. Doch letztlich sind die Gefahren nur das Produkt unserer beneidenswerten Lage.
Die in den letzten beiden Tagen von der Credit Suisse und der UBS publizierten Prognosen zur Schweizer Wirtschaft sind vor allem durch Warnungen aufgefallen. So hat die UBS festgehalten, der Konsumboom in der Schweiz habe bereits die Ausmasse der 1980er erreicht. Dieser wurde damals durch eine geplatzte Immobilienblase, eine hohe Inflation, eine mehrjährige wirtschaftliche Stagnation und eine stark steigende Arbeitslosigkeit in den 90er-Jahren abgelöst. Die Ökonomen der Credit Suisse haben ebenfalls einen ganzen Katalog von drohenden Fehlentwicklungen angeführt. Als Ursache der genannten Risiken erscheinen in beiden Berichten zwei Entwicklungen: viel zu tiefe Zinsen und die Zuwanderung. Wie gefährlich ist die Lage wirklich?
Die aktuelle wirtschaftliche Lage der Schweiz ist glänzend. Neben den Warnungen in den Prognosen ist beinahe untergegangen, dass sie in erster Linie eine positive Botschaft enthielten: Die Schweizer Wirtschaft wächst stärker als bisher angenommen. Sowohl Credit Suisse wie UBS haben ihre Einschätzungen für die Zunahme des Bruttoinlandprodukts im laufenden und im nächsten Jahr erhöht. 2013 soll dieses gemäss den beiden Grossbanken um 1,8 Prozent steigen, 2014 sogar um 2 Prozent. Damit würde die Schweizer Wirtschaft ihr geschätztes Wachstumspotenzial erreichen.
Breit geteilter Konjunkturoptimismus
Dieser Konjunkturoptimismus wird von anderen Ökonomen geteilt. Auch die von der Konjunkturforschungsstelle der ETH erhobene Konsensprognose 22 weiterer Banken und Institute geht neu von einem um 0,3 Prozent (2013) und 0,2 Prozent (2014) höheren Wachstum aus als noch in ihrer Juniprognose. Allerdings liegt die Schätzung tiefer als bei den Grossbanken: 2013 sollen es 1,6 Prozent sein, 2014 1,9 Prozent. Auch bei den Eckwerten, die am meisten interessieren, sind keine Gründe für eine besondere Sorge auszumachen: Die Inflation soll gemäss allen Prognosen ausserordentlich tief bleiben und die Arbeitslosigkeit kaum ansteigen.
Trotz der guten aktuellen Lage lassen sich die Warnungen der Bankökonomen von Credit Suisse und UBS nicht in den Wind schlagen. Deutlich ansteigende Preise an den Immobilienmärkten, eine Zunahme der Verschuldung der Hypothekargläubiger und eine laxe Vergabe der Hypotheken durch die Banken ist ein sehr gefährlicher Mix. Die Geschichte ist voll von Beispielen, wie solche Partys in Tränen geendet haben. Geplatzte Immobilienblasen führen in der Regel auch zu sehr viel längeren Rezessionen als sonst. Die USA hat sich bis heute nicht davon erholt, obwohl die Immobilienkrise schon vor sechs Jahren ihren Anfang nahm.
Vor den Risiken zu warnen, ist wichtig. Doch es besteht die Gefahr, dass ihre Ursachen falsch beurteilt werden: Die extrem tiefen Zinsen und die Zuwanderung sind beide das Ergebnis des wirtschaftlichen Erfolgs der Schweiz, die Folgen unseres paradiesischen Zustands im Vergleich zur wirtschaftlichen Lage in der übrigen Welt. Deshalb wollen Ausländer bei uns arbeiten, deshalb bringen sie ihr Geld zu uns, deshalb kaufen sie den Schweizer Franken als «sicheren Hafen».
Opfer glücklicher Umstände
Und weil unsere Währung deshalb zu schnell zu teuer und eine Gefahr für die Exportwirtschaft wurde, hat die Nationalbank eine Untergrenze für den Eurokurs von 1.20 Franken eingeführt. Und deshalb kann die Nationalbank den Leitzins nicht erhöhen, der sich praktisch bei null Prozent befindet. Eine Zinserhöhung würde den Franken unter Aufwertungsdruck setzen. Das ist der wichtigste Grund für die tiefen Zinsen.
Die Einwanderung erhöht zwar die Risiken, weil sie den Nachfrageschub weiter befeuert – besonders auf den Immobilienmärkten. Aber sie wirkt auch auf der «Angebotsseite»: Gut ausgebildete Zuwanderer können das Potenzial unserer Wirtschaft erhöhen. Welcher Effekt tatsächlich überwiegt, konnte noch niemand schlüssig nachweisen.
Unser eigentliches Problem besteht darin, dass wir uns von der übrigen Welt nicht abkoppeln können. Bis jetzt haben wir davon profitiert. Selbst der teure Franken macht uns reicher – was jeder merkt, der im Ausland Ferien macht. Doch diese Abhängigkeit von der Entwicklung um uns herum birgt auch Risiken. Was uns bleibt, ist «Pflästerlipolitik». Ein Beispiel dafür sind sogenannte «makroprudenzielle Massnahmen». So verpflichtet die Politik die Banken, ihre Hypothekarvergabe mit mehr Eigenmitteln zu unterlegen, um so dem Rausch an den Immobilienmärkten etwas Einhalt zu gebieten.
Im Übrigen müssen wir hoffen, dass sich die Lage um uns herum beruhigt, dass die Eurokrise bald zu einem Ende kommt und nicht neue Gefahrenherde entstehen. Auf dieser Hoffnung beruhen im Übrigen auch die nach oben revidierten Wachstumsprognosen für die Schweizer Wirtschaft. Stellt sich in der Weltwirtschaft die erhoffte Besserung nicht ein, wirds schwieriger im Paradies.
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