Letschti Rundi in Wiedikons Quartierbeiz
Nach 22 Jahren muss die Rosenburg zur Meyerei schliessen. Eine finale Stammtischplauderei mit der Familie Meyer.

Eigentlich scheint alles wie immer: Pascal Meyer, der 45-jährige Gerant, macht beim Tischabräumen lockere Sprüche. Yvonne Meyer steht am Eingang zur Küche, von jeher das unbestrittene Reich der 77-Jährigen. Und Ernst Meyer, einstiger FCZ-Stürmer, den sie damals wegen seines bubenhaften Gesichts «Ernschtli» nannten, der 1968 mit Köbi Kuhn und anderen Heroen gar gegen den grossen Pelé spielte (was ein prächtiges Foto über dem Stammtisch bezeugt), inzwischen aber auch bereits 74 Jahre in den Beinen hat, sitzt mit Gästen bei Kaffee und Schnaps.
Wie gesagt, eigentlich scheint alles wie gehabt an diesem Märzmittag in der Rosenburg – deren gewitzte Namensergänzung «Meyerei» übrigens eine Erfindung des Liedermachers Nöggi («I bin en Italiano») war. Doch, leider: Der Schein trügt. Es ist vielmehr so, dass eine alte Zürcher Beizergeschichte bald ihr finales Kapitel erreichen wird; dass die Meyers in die letzte Saison gehen – oder, im Lokaljargon: i di letschti Rundi.
Begonnen hat die Geschichte 1959 im Restaurant Monbijou an der Mattengasse im Kreis 5, das man 1982 abgab – um am 27. Januar 1995 die Rosenburg zu übernehmen. Vor zwei Jahren kam dann plötzlich die Kündigung; die Tochter des Hausbesitzers hatte mit den Räumlichkeiten eigene Pläne. Pascal Meyer erfocht eine Fristerstreckung, doch Ende Jahr ist unwiderruflich Schluss.
Weil dieses Ende bei Gästen und der Wirtefamilie ans Eingemachte geht und beide Seiten Zeit fürs Abschiednehmen brauchen, sitzen wir jetzt und nicht erst im Herbst an den Stammtisch und bereden, was es zu bereden gibt.
Gibt es ein Wort, mit dem man die Rosenburg charakterisieren kann?
Pascal Meyer: Für mich ist dieses Wort Heimat. Und das nicht nur aus persönlicher Sicht. Ich erinnere mich, wie 1995, am Tag nach der Eröffnung, ein paar Frauen zum Kaffee kamen. Sie kamen in all den Jahren immer wieder, mal zum Essen, mal mit Freunden, mal um einen Nachmittag lang nur zu schwatzen. Eine dieser Frauen sagte mir kürzlich, sie seien stundenlang im Quartier herumgelaufen, um für die Zeit nach der Schliessung eine neue Beiz für die Treffen zu finden, aber es gebe keinen Ersatz, sie würden eine Heimat verlieren. Dabei kämpfte sie mit den Tränen. Solche Sachen tun mir schon weh.
Yvonne Meyer: Dieser persönliche Bezug zu Gästen, die häufig auch Freunde waren oder wurden, war sozusagen unser Geschäftsmodell. Auch alte Monbijou-Stammgäste kamen hierher. Einer, Rolf Manz, feiert hier bald seinen 80. Geburtstag. Von den Passanten hätten wir jedenfalls nicht leben können.
Wer in der Rosenburg zur Meyerei Habitué ist, weiss: Grundsätzlich isst man hier Cordon bleu, die unangefochtene Hausspezialität. Was einigermassen unweigerlich zur Frage führt:
Gibt es eigentlich auch saisonale Teller? Und weitere Klassiker?
Yvonne Meyer: Ja, im Sommer machte ich regelmässig Siedfleisch Vinaigrette. Und einmal im Jahr gabs Metzgete. Wir haben aber immer auch aufs Portemonnaie der Stammgäste Rücksicht genommen: Waren sie knapp bei Kasse, gabs einfachere Sachen.
Pascal Meyer: Kutteln und Kalbskop sind andere Klassiker. Die Jungen haben solche Sachen lange verpönt, sind in den letzten Jahren aber auf den Geschmack gekommen. Klar ist: Das Cordon bleu war und bleibt die Nummer 1.
«Die Jungen» ist ein gutes Stichwort: Seit 1995, als die Meyers die Rosenburg übernommen haben, hat sich Wiedikon massiv gewandelt: Der Weststrassendreck ist weg, das Quartier ist frischer, familiärer und auch trendiger geworden – Gentrifizierungspuren inklusive.
«Die Jungen haben am Wochenende drei Grosse getrunken, weil das hier noch zahlbar ist, dann sind sie ab in die Stadt.»
Wie hat sich das «neue» Quartier auf die Rosenburg ausgewirkt?
Pascal Meyer: Dass man nach den FCZ-Spielen zu uns essen kommt, war nicht immer so. Überhaupt kamen am Abend plötzlich die Jungen, auch am Wochenende. Sie haben bei uns drei Grosse gekippt, weil das hier noch zahlbar ist, und dann sind sie ab in die Stadt.
Yvonne Meyer: Wir haben bei uns die Finger von den Trends gelassen. Hier drin sieht es aus wie eh und je, bei uns ists nicht «in» wie drüben am Idaplatz, dafür gemütlich. Allerdings kommt mir jetzt grad in den Sinn, dass wir schon auch mal Pioniere waren: Wir haben ja die erste Oldies-Night veranstaltet!
Pascal Meyer: Also die erste DJ-Oldies-Night.
Yvonne Meyer: Mit Luis. Der war Musiker, er hat für uns aber den DJ gemacht. Der war richtig gut, der ist mit der Tochter von Brizzi verheiratet. (Anm. d. Red.: Bruno Brizzi, Ex-FCZ-Spieler.)

Pascal Meyer: Das ist lange her. Und irgendwann haben sie dann rundherum ebenfalls damit angefangen.
Yvonne Meyer: Das hat mich richtig aufgeregt, und dann haben wir gesagt, jetzt ist fertig. Und mit dem Raclette war es dasselbe. Wir haben das auf die Karte gesetzt, im nächsten Jahr haben alle hier Raclette gemacht. Das ist doch blöd.
Auch wenn in der Rosenburg über all die Jahre hinweg die Zeit eher stehengeblieben ist als anderswo – von gesellschaftlichen und gesetzlichen Entwicklungen blieb man selbstverständlich nicht verschont. Dass das Rauchverbot einer solchen Quartierbeiz zusetze, sei doch klar, sagt Pascal, umso mehr, als es zeitnah mit der 0,5-Promille-Beschränkung in Kraft getreten sei. «Das klassische Feierabendbier ist bei uns jedenfalls passé.»
Bestimmt gibts aber auch besonders schöne Erinnerungen!
Pascal Meyer: Ja, dazu gehören sicher die zwei Abende, als der FCZ hier sein Mannschaftsessen machte. Das war zu der Zeit, als der Fischer Urs noch Captain war, bezahlt wurde aus der Bussenkasse: Wenn sie in der Kabine das Natel benutzten oder zu spät zum Training erschienen, mussten sie eine Busse bezahlen. Ich weiss noch genau, dass es beim ersten Mal viermal Fisch gab, alle andern nahmen Fondue.
Yvonne Meyer:Raclette, nicht Fondue.
Ernst Meyer: Yekini war da mit dabei. Und Fredy Chassot. Die anderen Gäste hatten riesig Freude an diesem Abend.
«Jetzt kommt mir in den Sinn, dass wir schon auch mal Pioniere waren: Wir haben ja die erste Oldies-Night veranstaltet.»
Yvonne: Meine Highlights waren die Geburtstage, wie der vom Fritz (Künzli), da kam sogar das Fernsehen, also die von «Glanz & Gloria». Und Karli Odermatt war auch da.
Was? Ein Basler in der Züri-Beiz?
Ernst Meyer: Als Karli reinkam, rief er: «Jetzt bin ich in der Höhle des Löwen», dazu fuchtelte er mit einem FCB-Schirm rum. Das war super. Und kein Problem, die Rosenburg ist neutrales Terrain.
Pascal Meyer: Fast jeden Donnerstag essen die alten FCZler bei uns zu Mittag, Köbi Kuhn, Fritz Künzli, Kurt Grünig, plus Max «Mannix» Meili vom FC Winterthur . . .
Ernst Meyer: . . . und montags kommen die GC-Veteranen, mit Ex-Präsident Fritz Peter. Sie gehen im Winter im Aemtler-Schulhaus tschutten, im Anschluss trinken sie bei uns ein Bier. All das geht jetzt zu Ende. Köbi und Fritz fragten mich kürzlich, wo sie essen sollen, wenn das hier fertig ist. Ich habe keine Ahnung.
Wenn wir bei der Melancholie sind – was war der traurigste Moment?
Pascal Meyer: Das war der 10. April 2002. Da starb Jadranka, unsere langjährige Serviertochter. Wie Esthi und Lydia, die anderen Angestellten, war sie praktisch Teil der Familie, sie kam auch mit in die Ferien in Oberiberg. Ihr Tod ging uns allen sehr nah.
Yvonne Meyer(in Richtung Theke): Esthi, wie lange bist du jetzt schon da?
Die Angesprochene ruft hinter dem Buffet hervor, am 1. Mai seien es 39 Jahre, sie habe bereits für den Vorgänger gearbeitet, sei also eine Art Altlast. Und lachend schiebt sie hinterher, bei Ljiljana, die in der Küche helfe, sei das ähnlich, die sei am 1. Oktober 31 Jahre mit dabei.
Wie ist das, wenn man plötzlich erfährt, dass es nicht weitergeht?
Yvonne Meyer: Als der eingeschriebene Brief kam – es war kurz vor Mittag – und wir ihn gelesen hatten, war das unfassbar, ein Schock. Wir Frauen haben nur noch «bääget». Und ich konnte sicher eine Woche nicht mehr schlafen.
Und sie, fügt Esthi Krüsi hinzu, habe damals aus Kummer drei Kilo abgenommen. Inzwischen jedoch, das betonen alle unisono, sei der Tiefschlag weggesteckt, man wolle jetzt einfach noch das Beste daraus machen. Und mit dieser Bemerkung biegt auch unser Gespräch in die letzte (Frage-)Runde ein.
Es bleiben noch neun Monate.
Yvonne Meyer:Neun Monate, das klingt nach viel. Aber ich weiss, wie rasch das vorbeigehen wird.
Pascal Meyer: Ja, das weiss ich auch. Und plötzlich ist Dezember, dann findet das Abschiedsfest für unsere Stammgäste statt, und das wars.
Und was kommt nach «das wars»?
Yvonne Meyer: Ich mache mir vor allem Sorgen um Pascal. Für mich ist es gut, ich bin auch froh, ist es vorbei, ich bin wirklich langsam ein bisschen müde. Und ich freue mich, endlich mehr Zeit mit meinem Mann zu haben. Und das Kochen muss ich nicht entbehren, Ernst muss ja schliesslich auch essen (lacht).
«Wenn ich die Portionen meiner Frau aufessen würde, bräuchte ich in Bälde doppelt so grosse Hosen.»
Ernst Meyer: Wenn ich die Portionen meiner Frau aufessen würde, bräuchte ich bald doppelt so grosse Hosen.
Yvonne Meyer: Ach was, solange du im Garten arbeitest, ist das kein Problem.
Sie gärtnern?
Ernst Meyer: Als Hobby. Wir haben ein Haus in Oerlikon, mit etwas Umschwung, da stochere ich im Boden herum, keine grosse Sache. Und fast lieber koche ich.
Sie kochen?
Ernst Meyer: Ja, einmal in der Woche, für meinen Enkel, der die Lehre bei uns in der Nähe macht. Ich stehe in der Küche, damit er sich kurz hinlegen kann.
Werden Sie nach dem Ende auch mal Pause machen, Herr Meyer?
Pascal Meyer: Ich habe eine Familie zu ernähren, ich muss arbeiten. Aber nicht im Gastgewerbe, ich habe die Prüfung als Limousinenfahrer absolviert, damit kann ich bei einem Kollegen einsteigen.
Und das Beizen-Inventar?
Pascal Meyer: Das ist zu kaufen. Wer Interesse hat, der soll sich hier melden. Ansonsten veranstalte ich dann einen Ausverkauf.
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