Leuthard und der richtige Moment
Die Wähleranteile von CVP und Grünen nähern sich an. Das könnte Folgen für die Zusammensetzung des Bundesrats haben.

Ein Tessiner, eine Westschweizerin, ein Mann und eine Frau – wen wird die FDP für den Bundesrat nominieren? Seit Aussenminister Didier Burkhalter seinen Rücktritt aus der Landesregierung angekündigt hat, drehen sich die Spekulationen vor allem um seine Partei und deren Kandidatenkür. Doch genauso entscheidend für die künftige Zusammensetzung des Bundesrats ist ein anderer Sitz: jener von Doris Leuthard.
Um ihn für die CVP zu sichern, müsste die amtsälteste Magistratin noch während der laufenden Legislatur zurücktreten. Denn die aktuellen Umfragewerte prognostizieren ihrer Partei für die Wahlen 2019 einen erneuten Einbruch in der Wählergunst. Wäre im März dieses Jahres gewählt worden, hätten die Christdemokraten gemäss Repräsentativbefragung von GFS Bern 0,9 Prozentpunkte verloren und wären noch auf einen Wähleranteil von 10,7 Prozent gekommen. Die Entwicklung in den Kantonen widerspiegelt das Formtief. Dort hat die CVP seit den nationalen Wahlen 2015 in den Parlamenten 24 Sitze verloren – die schlechteste Bilanz aller Parteien.
Bürgerliche in Erklärungsnot
Gefährlich im Hinblick auf den Bundesratssitz wird der CVP namentlich eine Partei: die Grünen. Diese verzeichnen einen genau gegenläufigen Trend. Seit den Wahlen 2015 haben sie beim Wähleranteil um 1,7 Prozentpunkte zugelegt und stehen nun bei 8,8 Prozent.

Damit ist die Distanz zur CVP in den letzten eineinhalb Jahren fast um die Hälfte geschrumpft. Noch nie kamen die Grünen den Christdemokraten so nah. In den Kantonsparlamenten ist die Bilanz ebenfalls positiv: Dort haben die Grünen bislang 14 Sitze gewonnen. Setzt sich die Entwicklung fort, nähern sich die beiden Parteien in der Wählerstärke an – und die Grünen hätten arithmetisch genauso Anrecht auf einen Bundesratssitz wie die CVP.
Das brächte insbesondere die anderen bürgerlichen Parteien in Erklärungsnot, wie es dort hinter vorgehaltener Hand heisst. Denn SVP und FDP hatten die Konkordanz in der Vergangenheit stets mathematisch interpretiert.
Nach Burkhalters Rücktrittserklärung bekräftigte der Freisinn diese Haltung, als es um den eigenen Anspruch auf zwei Sitze ging: Die FDP stehe zur Zauberformel, welche die drei grössten Parteien mit je zwei und die viertgrösste mit einem Sitz in die Regierung einbinde, teilte sie per Communiqué mit. Entscheidend für die Argumentation der Partei war bisher immer die Wählerstärke – nicht etwa die Fraktionsgrösse.
Und die SVP speiste ihre Empörung über die eigene Untervertretung im Bundesrat jahrelang aus der arithmetischen Ungerechtigkeit. FDP-Präsidentin Petra Gössi will sich heute nicht festlegen, wie sich ihre Partei im Falle eines grünen Sitzanspruchs verhalten würde. «Wir führen diese Diskussion noch nicht», sagt sie.
Wohlwollen für grünen Sitz
Auf Wohlwollen stiesse eine grüne Kandidatur bei der SP. «Es gilt keine unveränderte Zauberformel. Das Szenario eines grünen Bundesrats will ich nicht ausschliessen», sagt etwa SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Seine Partei stellt jedoch vielmehr den zweiten FDP-Sitz als jenen der CVP infrage. Letzteres gilt auch für die Grünliberalen. Aber: «Wenn sich die Parteistärke von CVP und Grünen stark verändert, müsste dies bei der Bundesratswahl berücksichtigt werden», sagt GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. Ihre Partei habe inhaltliche Differenzen mit den Grünen, doch ökologische Anliegen seien im Bundesrat heute untervertreten. «Das Parteiensystem ist einer Dynamik unterworfen; die Zusammensetzung der Exekutive ist deshalb nicht in Stein gemeisselt.»
Für die BDP zählt hingegen die «Konkordanz der Blöcke». «Als einziger Sitz der Mitte ist jener der CVP wichtig», sagt Präsident Martin Landolt. Und betont, dass die Christdemokraten selbst bei bedeutenden Sitzverlusten im Ständerat noch immer deutlich stärker als die Grünen wären. Genau deshalb bleibt CVP-Präsident Gerhard Pfister trotz der aktuellen Entwicklung gelassen. «Letztlich entscheiden die anderen Parteien über unseren Sitzanspruch. Fest steht: Die CVP-Fraktion ist deutlich grösser als jene der Grünen.»
Diese haben in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht, einen Bundesratssitz zu erobern. Auch wenn die arithmetische Rechtfertigung dafür nun greifbar nahe ist, winkt Präsidentin Regula Rytz ab: «Es ist erst Legislatur-Halbzeit, wir wollen nicht übermütig werden.» Sie betont zudem, dass nicht die CVP mit einem, sondern die FDP mit zwei Sitzen arithmetisch am stärksten überrepräsentiert sei. «Wenn es so weit ist, werden wir deshalb hier unsere Ansprüche geltend machen.» Setzt sich also der Positivtrend der Grünen fort und träte Johann Schneider-Ammann (FDP) erst nach den nationalen Wahlen zurück, beträfe dies seinen Sitz.
Leuthard im Allzeithoch
Trotz der drohenden Wahlniederlage und der Diskussion um den Sitzanspruch ihrer Partei deutet zurzeit wenig auf einen Rücktritt Leuthards hin. Die Aargauerin ist in ihrem elften Amtsjahr in einem Allzeithoch – in der Bevölkerung populärer als jedes andere Regierungsmitglied und in Bern als Retterin aller schwierigen Dossiers gefragt.
CVP-Präsident Pfister will deshalb trotz des Dilemmas keinen Druck aufsetzen. Leuthards Auftrag gelte dem Landeswohl, nicht den Parteiinteressen, sagt er. «Ich bin überzeugt, dass sie bei ihrem Entscheid staatspolitische Überlegungen stärker berücksichtigen wird als Didier Burkhalter, der sich darum wenig zu kümmern schien.»
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