Licht aus, Ton an
Setzt sich Jonas Guggenheim etwas in den Kopf, gibt es für ihn nur wenig Hindernisse. Das zeigt aktuell seine wundersame, lichtgesteuerte Musik-Installation.
Eigentlich schwebte Jonas Guggenheim nur eine Dekoration für das Sommerfest vor: ein grosses Mobile, an dem unregelmässig blinkende, selbst gebastelte Vögel im Kreis fliegen. Doch wie das so ist mit seinen Ideen: Sie bekommen Flügel, heben ab und landen dann – oft auch für ihn überraschend – an einem andern Ort. Auch lassen sie sich nie einfach so verwirklichen, geschweige denn kaufen.
Manchmal fehlt es auch an einem gewissen Know-how, zum Beispiel an der Fertigkeit, Elektronik zu entwickeln und zu löten. Denn Jonas Guggenheim ist Musiker, ein virtuoser Akkordeonist, der die Musik im Blut, im Herzen, aber auch im Kopf hat. Und wenn er sich etwas in Letzteren gesetzt hat, gibt es nur wenige Hindernisse, die er nicht überwindet. Das Resultat dieser Kombination: die Guggenheim-Box.

Der Ort, wo die Guggenheim-Box derzeit steht, hat etwas Vergessenes. Er scheint mitten in Regensdorf aus der Zeit gefallen zu sein. Wucherndes Grün, knorrige Chriesi-, Quitten- und Zwetschgenbäume, eine Baracke, ein Kiesplatz, ein Wohnwagen. Einst war dies das Atelier eines Bildhauers. Nun ist es ein Proberaum für Musikerinnen und Musiker, wo auch regelmässig Barackenkonzerte stattfinden. Und wo die Guggenheim-Box entstanden ist und nun bespielt wird. Oder spielt.
Mit der Guggenheim-Box spielt das Künstlerkollektiv The Sporthorses, vier bis fünf Künstler und Künstlerinnen, darunter Jonas Guggenheim und die Jazzviolinistin Andrea Kirchhofer. Sie tanzen um die Box herum, sehen aus, als ob sie Töne und Rhythmen aus der Luft fangen. Der Trick ist: Licht aus, Ton an. Denn die Box enthält Lichtschranken, werden diese unterbrochen, tönt sie.
Löten, stöpseln, stromern
Doch nochmals zurück zu den Vögelchen: Um diese zum Fliegen zu bringen, brauchte es Hans-Peter. Hans-Peter Girsberger ist ein bald 80-jähriger Ingenieur, der all das konnte, was Guggenheim fehlte: löten, schweissen, stromern. Und Hans-Peter Girsberger ist einer, der sich in dem aus der Zeit gefallenen Ort wohlfühlt und der gerne mit Leuten zusammen ist, die ihren Ideen nachhängen. «Der Idealismus dieser Jungen ist ansteckend», sagt er. Und: «Es macht mir Freude, wenn ich dazu beitragen kann, dass etwas entsteht, von dem alle, ich eingeschlossen, ursprünglich glaubten, das komme nie zustande.»
So brachten also das Duo Girsberger & Guggenheim die Vögel zum Fliegen. Nur eben, als dann nach geglücktem Fest und Vogelflug Guggenheim im Bett lag und über das blinkende Licht und die surrenden Motörchen nachdachte, schoss ihm durch den Kopf: «Wäre es nicht möglich, dass die Vögelchen beim Drehen Lichtschranken unterbrechen und dadurch Töne erzeugen? Wie sich beim Durchschreiten einer Lichtschranke Türen öffnen.» Die Idee der Guggenheim-Box war geboren.
Acht Lichtschranken sollte sie haben, fand Guggenheim. Damit man auf ihr Musik spielen kann. Nur: Eine Lichtschranke kostet 50 Franken – zu viel für sein Budget. Doch wenigstens Hans-Peter davon erzählen wollte er. Und Hans-Peter sagte: «Die machen wir selbst.» Und so löteten und entwickelten die beiden wochenlang, stöpselten und sägten. Und die Box nahm Form und Ton an: ein zimmerhohes Gebilde aus Holzstreben mit weissen und grünen Lichtschranken bestückt, die Ton angeben, wenn der Lichtstrahl unterbrochen wird.
Ein wahrer Tonkünstler
Es folgte Guggenheims nächste schlaflose Nacht: Die Box spielte nämlich nur, wenn es dunkel war, weil bei Tag das Umgebungslicht ausreichte, um die Schranke aufrechtzuerhalten. Monatelang pröbelten sie. Dann kam der Durchbruch: Sie fokussierten das Licht im Sensor durch eine Linse, und es funktionierte. Mittlerweile ist die Guggenheim-Box ein wahrer Tonkünstler. Dabei ist sie nicht einfach ein digitaler Synthesizer, die Mehrheit der Töne entsteht analog in einem Modularsynthesizer mit grossem Kabelsalat. Ergänzt durch eine Lichtorgel, besteht die Installation mittlerweile aus 28 Lichtschranken, und es gelingt auch einem Laien, auf ihr innert einer Viertelstunde «Happy Birthday» zu spielen.
Doch sie kann viel mehr, denn sie ist fast beliebig ausbaubar: Zwei Räder, die mit einer Velokette verbunden sind, werden mit Stäben bestückt, die wiederum Lichtschranken unterbrechen, wenn jemand sie dreht. So schlagen sie je nach Drehgeschwindigkeit einen Beat. Und entsprechend dem Abstand der Stäbe einen andern: Viervierteltakt, Dreivierteltakt. . . Auch Tonhöhen, Klangfarbe, Tonlängen lassen sich durch Drehen an Rädern verändern.
So erzeugen die Performer mit Händen, Knien, Füssen und Ellenbogen Töne, wodurch ein freakiges Tanz-Ton-Spektakel entsteht. Dazu kommen selbst hergestellte Saiteninstrumente, und wenn Jonas Guggenheim in seinem Kabelsalat herumstöpselt, ändern sich Töne und Klangfarben. Oder der Box bleibt plötzlich der Ton weg. Dann beginnt Guggenheim Schalter umzudrehen, Stecker ein- und auszustecken. «Sie muss noch etwas dressiert werden.», sagt er. «Ihr schafft das», entgegnet Hans-Peter Girsberger.
Doch was ist jetzt mit den Vögelchen? Die drehen oben auf der Guggenheim-Box fröhlich blinkend ihre Runde.
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Mit: Pascal Rüegger, Leonie Herlach, Léa Ebert, Andrea Kirchhofer, Jonas Guggenheim; Uraufführung am Busker Festival «Aufgetischt» in St. Gallen: 12./13. Maiwww.thesporthorses.com
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