Löst sich heute der schwedische «Fall Kennedy»?
Vor 30 Jahren wurde Ministerpräsident Olof Palme erschossen – der Mörder nie gefunden. Heute informieren die Ermittler.

Der 28. Februar 1986 erschütterte ganz Schweden: Der damalige Regierungschef Olof Palme entschied sich spontan, mit seiner Frau, Sohn und dessen Freundin im Kino die schwedische Komödie «Die Mozart-Brüder» anzuschauen. Dabei verzichtete er auf Personenschutz – wie immer, bei privaten Terminen.
Wilde Verschwörungstheorien
Nach Ende der Vorstellung ging der linksorientierte Sozialdemokrat gemeinsam mit seiner Frau Lisbet in Richtung der nächstgelegenen U-Bahn-Station – bis plötzlich ein lauter Knall ertönte, scheinbar aus einem Revolver im Kaliber .357 Magnum. Palme wurde von einem Schützen, der bis heute unbekannt blieb, schwer verletzt, Lisbet wurde zwar auch getroffen, jedoch nur leicht verletzt. Obwohl in weniger als einer Minute bereits der erste Notruf einging, verstarb der 59-Jährige im Spital.
Mit Palmes Tod begannen die europaweiten Spekulationen um die Hintergründe und Drahtzieher des Mordes – auch weil in der Spurensicherung unsauber gearbeitet wurde. So entstanden die wildesten Verschwörungstheorien, zumeist ohne glaubwürdige Beweise. Die Massen an Bekennerschreiben, eines davon angeblich von der deutschen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF), die bei den Medien eingingen, sorgten ebenfalls immer wieder für Wirbel. Zudem waren Aktivisten der kurdischen PKK oft als mögliche Attentäter genannt, jedoch ebenfalls ohne grundlegende Indizien.
Da Palme ein grosser Kritiker der westlichen Politik, Befürworter des kernwaffenfreien Europas und bekennender Gegner des südafrikanischen Apartheidregimes war, nahmen seine Anhänger Geheimdienste wie die italienische P2, den BOSS aus Südafrika oder die CIA in den Kreis der Verdächtigen auf. Insbesondere verurteilte der Vater dreier Söhne den Vietnamkrieg scharf, verglich die US-Angriffe auf Nordvietnam mit den NS-Verbrechen.
Eine weitere prominente Theorie war ein Komplott innerhalb der Polizei. Erst der dritte Notruf schien eine Wirkung erzielt zu haben und auch danach ging die Kommunikation denkbar schleppend voran. Es wurde von einer Kooperation zwischen der Polizei mit weiteren Rechtsextremen Gruppen gesprochen. Hinweise darauf sollen auffällig viele Menschen mit Funkgeräten in dieser Nacht und ein einzelner Polizist in einem Streifenwagen – für die Verfechter der Verschwörungstheorie der wahre Mörder – sein.
Zwielichtige Verurteilung, dubioser Tod
Fast drei Jahre vergingen, bis die Polizei scheinbar entscheidende Fortschritte machte. Ende 1988 wurde ein Tatverdächtiger gefasst, der gut ins Profil zu passen schien: Christer Pettersson war drogenabhängig und vorbestraft, sein Alibi, das er kurz nach dem Attentat angegeben hatte, erwies sich als falsch. Und Palmes Witwe Lisbet identifizierte ihn als den Mörder, worauf Pettersson zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Doch auch dieses Urteil sollte noch nicht das Ende des kontroversen Falles gewesen sein: Es stellte sich heraus, dass Lisbet im Vorfeld der Präsentation der möglichen Täter einen Hinweis bekommen hatte, dass Pettersson der Hauptverdächtige sei. Deshalb wurde der damals 41-Jährige in zweiter Instanz freigesprochen, am 29. September 2004 verstarb er auf mysteriöse Art und Weise. Lauf offizieller Darstellung soll Pettersson stark alkoholisiert gestürzt und mit dem Kopf auf Pflastersteine geprallt sein. Nach 13 Tagen im Spital erlag er seinen Verletzungen.
Auch nach Petterssons Tod blieb er der Hauptverdächtige: Lars Tingström, der in Schweden wegen seiner Briefbomben als «Bombenmann» bezeichnet wird, schrieb in seinem Testament, dass er Pettersson beauftragt habe, Palme zu töten. Darüber hinaus berichtete Petterssons Ex-Freundin gegenüber der Zeitung «Aftonbladet», dass dieser ihr den Mord gestanden habe – so wollte er Rache für einen Bekannten nehmen, der Steuerschulden hatte. Als Beweis legte sie 40 Briefe vor. Und am 26. Februar 2006 erschien ein Dokumentarfilm, worin Pettersson den Mord gesteht. Er gab an, es handelte sich um eine tragische Verwechslung, er wollte den Drogenhändler Sigge Cedergreen ermorden.
Was wird heute kommuniziert?
Im Dezember 2015 gab es scheinbar eine Kehrtwende: Ein Revolver desselben Modelles wie die vermutete Mordwaffe wurde der Polizei übergeben und das von Leif G. W. Persson. Der 70-jährige Kriminologieprofessor und -autor ist in Schweden sehr hoch angesehen, wurde mehrmals mit dem Krimipreis ausgezeichnet. Wenn er daran glaubt, dass es sich um die Tatwaffe handelt, könnte tatsächlich etwas dran sein, hiess es. Aber auch diese Spur erwies sich als nutzlos, die Untersuchung des staatlichen forensischen Instituts, NFC, ergab, dass es sich beim Revolver nachweislich nicht um die Mordwaffe handelt..
Für heute Donnerstag um 14 Uhr haben die Ermittler eine Pressekonferenz in Stockholm einberufen, um über den Stand der Nachforschungen Auskunft zu geben. Ob dabei neue Informationen preisgegeben werden, wollten sie im Vorfeld nicht verraten. Dass in einer der grössten Mysterien in Schwedens Geschichte ein entscheidender Fortschritt gemacht wurde, bezweifelt jedoch Silke Bigalke, «Schweden-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung»: «In den letzten Tagen wurde hier so viel darüber berichtet, bahnbrechende Neuigkeiten wären mit Sicherheit durchgesickert.»
Vielmehr glaubt Bigalke, dass der Mord nach 30 Jahren nicht mehr restlos aufgeklärt werden kann. Der damalige Hauptverdächtige Pettersson und sein angeblicher Komplize sind längst tot. Dennoch ist der Andrang auf die um 14 Uhr stattfindende Pressekonferenz riesig: Sie musste sogar kurzfristig in einen grösseren Saal verlegt werden.
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